Der Überraschungsmann
einen prominenten Wetteransager gelesen, der lauter ahnungslose Frauen miteinander betrogen hatte. Wie blöd müssen diese Frauen sein, hatte ich noch kopfschüttelnd gedacht.
»Sie sollten diesen Jemand gehen lassen«, sagte Maria sanft, aber bestimmt. »Es ist der Mann, der Ihnen so schrecklich wehgetan hat. Lassen Sie ihn gehen, sonst wird er Ihnen noch mehr wehtun.«
»Ich kann nicht!«, schluchzte ich. »Wir haben gemeinsam eine Familie gegründet. Wir haben ein riesiges Haus, vier Kinder, er hat so hart für all das gearbeitet …«
»Darf ich fragen, was er von Beruf ist?«, fragte die Seherin.
Kurz erwog ich, einfach »Fliesenleger« zu sagen, dann wäre sie draufgekommen: Kachelmann! Aber so einfach wollte ich es ihr nicht machen. In meiner Verzweiflung versäumte ich es zu antworten: »Das müssten Sie doch sehen!«
Stattdessen sagte ich artig wie bei einer Behörde: »Arzt!«
Doch das beeindruckte sie nicht weiter. »Sie werden jemandem begegnen, der viel besser zu Ihnen passt.«
»Nie im Leben!« Hallo? Ein Arzt ist ein Hauptgewinn, und dafür muss man auch mal was einstecken! Das hat nicht nur Leonore gesagt, das steht auch in jedem Arztroman!
»Er ist schon ganz in Ihrer Nähe!«, beharrte Frau Dornwald.
Ich schüttelte enttäuscht den Kopf. Bisher hatte sie doch so viel Richtiges gesagt. Warum speiste sie mich jetzt mit diesem Kräuterhexengewäsch ab?
»Sie sind ihm schon einmal begegnet«, schürte sie meine Zweifel an ihren Fähigkeiten noch mehr.
»So? Und wer soll das sein?« Jetzt regte sich schon wieder Trotz in mir. Los! Name, Alter, Beruf, Adresse! Wenn sie schon Seherin war, dann konnte sie mir doch gleich seine Handynummer geben! Dann ging das hier alles zügiger vonstatten!
»Sie haben schon mal einen Anflug von Ihrer jetzigen Traurigkeit verspürt«, erwiderte sie, ohne weiter auf meinen Angriff einzugehen. »In diesem Wolkenzipfel, der sich damals vor Ihre Sonne geschoben hatte, haben Sie seinen Schatten bereits gesehen. Sie haben seine Stimme gehört und seine Hände gespürt.«
Die Frau redete in Rätseln. Wessen Hände sollte ich gespürt haben?
»Es war aber eine sehr schmerzhafte Begegnung«, orakelte sie weiter. »Sie wollten nicht zulassen, dass Ihnen Ihre verfahrene Situation bewusst wird.«
»Ist schon gut«, wehrte ich ab. Das brachte doch nichts mehr. Ich zog die Nase hoch. »Vielen Dank für die Konsultation. Was kostet das?«
»Sechzig Euro«, sagte Maria, die Seherin.
Ich war überrascht. Dass sie das so präzise sagen konnte! Wonach berechnete sie ihr Honorar? Nach Minuten? Nach Tränen? Nach Worten? Nach konstruktiven Vorschlägen? Nach verbrauchten Tempotaschentüchern?
»Das ist ein Pauschalpreis«, las die Seherin meine Gedanken. »Für ein Erstgespräch. Später wird es dann preiswerter.«
»Interessant«, murmelte ich beeindruckt. »Eine Frage noch, Frau Dornwald: Was wird aus den Kindern?«
»Schaffen Sie ihnen ein neues kleines Nest. Nur für die, die dort hineingeboren wurden. Die anderen lassen Sie fliegen.«
»Und … werde ich wieder glücklich?« Ich schämte mich für diese Frage, aber bei sechzig Euro musste das mit drin sein.
»Sie werden im Sommer eine Überraschung erleben«, behauptete Maria Dornwald. »Wenn der Vollmond scheint. Erst eine schmerzhafte …«
Oh, Gott! Nicht noch eine schmerzhafte Überraschung! Was sollte denn NOCH kommen?
»… und dann eine wunderschöne. Sie werden eine große Reise machen. Und Sie bekommen ein Geschenk, das Sie sich schon lange wünschen.«
In meinem jetzigen Zustand fand ich ihre Vorhersage ziemlich gewagt. Kopfschüttelnd verließ ich den Raum. Ich glaubte ihr kein Wort.
An diesem Abend hatte ich das erste Mal die Kraft, mein Handy einzuschalten. Das Ding piepte ohne Unterlass.
78 Anrufe in Abwesenheit. 65 Wortmeldungen auf der Sprach box. 102 SMS und 25 Fotos im Speicher für MMS.
Die Fotos schaute ich mir zuerst an. Sie zeigten entzückende Kinder und rührende Familienszenen bei uns am großen ovalen Esstisch: Da saßen sie eng zusammengerückt, das Baby Fanny fütternd, essend, Karten spielend. Das stimmte mich weich. Dann: Leonore am Klavier. Leonore mit Charlotte am Klavier. Leonore mit dem Baby am Klavier! Das stimmte mich verdrossen. Zuletzt: Volker mit Hundeblick. Volker mit einem ganzen Arm voller samtroter Rosen vor der Brust, die er der Kamera entgegenstreckt. Ein nutzloses Friedensangebot, das mich nur aggressiv machte.
Das Baby Fanny, mein Kuckuckskind, lachend auf dem
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