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Der übersehene Mann: Roman

Der übersehene Mann: Roman

Titel: Der übersehene Mann: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christina McKenna
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Gedanke an seine Haare – oder vielmehr an den Mangel an Haaren – deprimierte ihn, dazu seine schiefen Ohren, die Narbe und sein gequältes Lächeln.
    »Genau darüber hab ich auch grad nachgedacht, Jamie. Und weißte was: Du kriegst das gebacken, wenn du es nur richtig willst. Das sag ich immer zu meim Paddy, wenn er ein Problem hat. Weißte, erstletzte Woche is er angekommen, als ich grad mitten beim Backen war, Biskuit kuchen mit Marmelade für den Wohltätigkeitsbasar von Vincent de Paul. Sagt er zu mir: ›Rose, ich muss dem Wiltshire die Hörner kürzen, aber der will einfach nich stillhalten.‹ Sag ich zu ihm: ›Tja, da gibt’s nur eins bei so einem alten Bock, Paddy!‹, und hol das Nudelholz.«
    Jamie sah erstaunt auf das Nudelholz auf der bemehlten Arbeitsfläche. Es lag neben einem Teigmischer in Form eines tanzenden Bären.
    »Genau das da, Jamie. Tja, ich habs also gepackt und sag zu Paddy: ›Das wird ihm schon den Marsch blasen, dem alten Schaf, jawoll!‹ Wir also raus zum Stall. Ich hab ihm ’ne volle Breitseite gegeben, und weißte, ’ne ganze Minute war der weg ...«
    »Du hast Paddy mit dem Nudelholz eins übergezogen?«, warf Jamie ein. Ihn beschäftigte noch immer das Foto und so hatte er Roses langatmiger Geschichte nicht die volle Aufmerksamkeit gezollt.
    »Nein, Mann, dem Bock!«, rief Rose, etwas verstimmt, weil Jamie sie aus dem Konzept gebracht hatte.
    »Oh, Mist, dem Bock. Alles klar.«
    »Genau, dem Bock, Jamie. Ich jedenfalls volle Breitseite auf den Bock mit dem Nudelholz«, fuhr Rose fort. »Und da hatte Paddy genug Zeit, ihm die Hörner zu kürzen. Dann is er wieder hochgekommen und hat so getaumelt – ich sag zu Paddy: ›Wie einer, der Freitagnacht bei Slope rauskommt‹, und das wars.«
    »Herr im Himmel, was für ’ne Geschichte!«, rief Jamie erstaunt.
    »Tja, weißte, mein Paddy hat genau dasselbe gesagt, sagt er: ›Herr im Himmel, ich wusste gar nich, was man alles mit ’nem Nudelholz machen kann.‹«
    Rose nahm sich noch ein Stück Teegebäck.
    »Wo war ich, Jamie? Bevor ich dir die ganze Sache mit dem Nudelholz und dem Schafsbock erzählt hab? Noch etwas Tee?«
    Sie wartete die Antwort nicht ab, sondern füllte Jamies Becher bis zum Rand.
    »Das Foto, Rose.«
    »Ach, das Foto, darüber würd ich mir jetzt noch keine Sorgen machen, Jamie, nich, bevor sie danach fragt. Meine Meinung is ja, dass eine Frau, die’s ernst meint, da gar nich nach fragt. Eine junge hat vielleicht Interesse, wie man aussieht, aber eine Frau in deinem Alter, die ist da längst drüber weg, wie ich immer zu meim Paddy sag: Er hätte keinen Schönheitswettbewerb gewonnen und ich auch nich – auch heute nich, um der Wahrheit die Ehre zu geben –, aber meine Mutter, Gott hab sie selig, hat immer gesagt ›Gott hat dir dies Gesicht gegeben, weil er fand, dass es zu dem Rest von dir passte, und besser ein hässliches Gesicht als gar keins‹ . Stimmt’s etwa nich?«
    Sie trank noch etwas Tee und machte kurzen Prozess mit dem Teegebäck, während Jamie versuchte, ihre Reden zu verdauen. Er hielt Rose für eine ungemein weise Frau und zweifelte nicht an ihrer Ernsthaftigkeit, wenn es um Herzensangelegenheiten ging.
    »Und weißte was, Jamie, ich sag ja gar nich, dass du schlecht aussiehst – nichts liegt mir ferner, als so was zu behaupten – aber ich sag schon, mit ’nem schönen Anzug und ’nem ordentlichen Hemd und ’ner Krawatte dazu, würdst du aussehen wie eine Hoheit, jawoll. Ein gutes weißes Hemd, vielleicht ’ne rote Krawatte dazu, ein gestärktes Taschentuch in der Brusttasche – und ein Mann kann alles erreichen. Wenn ich du wär, würd ich mich bei Harveys mal neu einkleiden lassen. Mr Harvey gibt ordentlich Rabatt, wenn du dich nich zierst, ’n bisschen was springen zu lassen. Aber das hat noch Zeit, bis du weißt, wann ihr euch trefft.« Sie stand auf, um die Suppe zu begutachten. »Mein Paddy kommt mit und hilft dir beim Aussuchen, wenn du willst. Paddy weiß, was einem Mann gut zu Gesicht steht.«
    »Ach, das wär natürlich prima, Rose.« Jamie trommelte auf die Plastik ferkel, aufgeregt und erschrocken, mit welcher Geschwindigkeit Rose seine Zukunft anging. Er hatte das Bedürfnis, einen Gang zurückzuschalten. Zurückschalten und kein Risiko eingehen, nur das war sicher. Plötzlich sah er sein grässlich verzerrtes Gesicht – das eines räudigen Trolls – in Roses Teekanne. »Aber was is mit meinen Haaren? Ich kann doch keine Kappe tragen, wenn ich mich das erste

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