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Der übersehene Mann: Roman

Der übersehene Mann: Roman

Titel: Der übersehene Mann: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christina McKenna
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ließen sie Shep auf den Rücksitz des Minors springen und fuhren los. Jamies Haus wurde im Rückspiegel immer kleiner, als sie im ersten Gang den Berg hinunterfuhren.
    Das Beste, was man über Paddys Fahrstil sagen konnte, war, dass er sprunghaft war, was zum einen Teil an seinen schlechten Augen und an seiner geringen Fahrpraxis lag – er fuhr immer nur die zwei Kilometer vom und zum Ort und konnte auch nur einparken, wenn der Parkplatz so groß wie ein Gerstenfeld war – und zum anderen Teil daran, dass er sich nie in seinem Leben einer Fahrprüfung unterzogen hatte. Deswegen pflegte er eine einseitige Beziehung zu seinem Auto: Er wusste ungefähr, wie man damit fuhr, aber nicht, wie man es wartete. Er füllte so gut wie nie Wasser und Öl nach, von Bremsflüssigkeit und Kühlwasser ganz zu schweigen.
    Paddys Autos ähnelten deswegen früher oder später alle verwundeten Kriegern, die sich wacker ans Leben klammerten: die Reifen blank wie ein Babypopo, die Stoßstangen verbeult von misslungenen Parkmanövern, Seitenspiegel und Wischblätter als ewiges Provisorium mit Paketband festgeklebt. Wenn Paddy wieder einmal mit einem rundumerneuerten Fahrzeug vom Parkplatz von J & B O’Lynchys »Fast So Gut Wie Neu«-Gebrauchtwagenhandel fuhr, wusste der Händler schon, dass das Ende des Autos nicht mehr fern war. Im Hof der McFaddens gab es einen Gottesacker voller Wracks. Paddy konnte sich noch so sehr am Kopf kratzen, jedes einzelne dieser Fahrzeuge war mit einem plötzlichen Knall zum Stillstand gekommen. Auch wenn er auf »Teufel komm raus« keinen Grund dafür finden konnte.
    Der Minor, in dem die drei jetzt fuhren, war Paddys fünfter in drei Jahren. Das Auto ruckte und zuckte mit lauten Motorgeräuschen die holprige Landstraße entlang, nur vom aufgrund Paddys sprunghafter Schaltweise knirschenden Getriebe unterbrochen. Als sie sich Killoran näherten, nahm Paddy unklugerweise eine Abkürzung über die sogenannte Pothole Lane, die nach den Schlaglöchern benannt worden war, die seit ihrem Bau zur Zeit der normannischen Invasion im Jahr 1169 entstanden waren. Auf diesem letzten Abschnitt konnten die Männer sich nicht mehr unterhalten und der Hund drehte völlig durch. Siewurden so durchgeschüttelt, dass sie kaum noch Luft bekamen, und ihre Kommentare zu den Schlaglöchern – »Himmelherrgott nochmal!« oder »Das war vielleicht ein fettes ...« – wurden von den gequälten Zuckungen des Motors übertönt.
    Als sie schließlich den Busbahnhof erreichten, hatte sich Shep hechelnd mit heraushängender Zunge und angelegten Ohren auf dem Rücksitz ergeben. Fahrer und Passagier waren sprachlos, Jamie hielt sich an der Tüte mit den Rosinenkeksen fest, von denen die meisten gewiss zerkrümelt waren. Paddy schwor sich, diese fiese Abkürzung nie wieder zu nehmen.
    Lydia Devine entspannte sich im vornehmen Wohnzimmer des Ocean Spray und blätterte müßig eine alte Ausgabe der Woman’s Own durch, die sie im Zeitschriftenständer ihrer Tante gefunden hatte. Es war ein wunderbarer, ruhiger Nachmittag und sie fühlte sich sehr wohl in dem eleganten Zimmer mit der fantastischen Aussicht auf den unendlichen Himmel, den Strand und das Meer.
    Es war der vierte Tag ihrer Ferien, drei lagen noch vor ihr, und als sie es sich im Samtsessel bequem machte, dachte sie darüber nach, dass sich ihr kurzentschlossener Urlaub nach dem holprigen Start doch erfreulich anließ. Seit der kleinen Auseinandersetzung der Schwestern über Pfarrer Perseus Cuthbert und die Frage ihres Taufnamens war ihr Umgang eigent lich relativ ruhig und problemlos.
    Lydia wusste, dass sie für das ausgleichende Moment sorgte, denn sie hatte Elizabeth und Gladys durch diplomatische Manöver so viel wie möglich voneinander ferngehalten. Sie ging mit ihrer Mutter spazieren, wenn Gladys zu tun hatte, und führte lange Gespräche mit ihrer Tante, wenn ihre Mutter schlief. Auf diese Art und Weise erfüllte sie ihre Funktion als pflichtbewusste Tochter und aufmerksame Nichte – und diente beiden als Blitzableiter.
    Sie hatte auch darauf bestanden, dass sie ihre Hauptmahlzeiten im Esszimmer zusammen mit den anderen Gästen einnahmen. Auf diese Weise konnte ihre Tante sich als Eigentümerin und Gastgeberin aufspielen, eine Rolle, in der sie wie eine vollendete Schauspielerin aufging,und bei der ihre Schwester und Nichte höchstens Nebenrollen an einem Tisch in der Ecke spielten und so gut wie vergessen waren. Diese Situation schien allen zu gefallen: Gladys sprühte

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