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Der übersehene Mann: Roman

Der übersehene Mann: Roman

Titel: Der übersehene Mann: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christina McKenna
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wiederfinden, sage ich immer ...«
    Ein zartes Klopfen unterbrach Gladys’ wilden Monolog.
    »Herein, Sinéad«, rief sie sofort. Ein junges Hausmädchen trug ein massives Silbertablett herein. »Gut, hier kommt endlich der Tee.«
    Gladys klopfte mit ihrem lackierten Fingernagel auf den Glastisch. »Stellen Sie es bitte hier ab.«
    Das Mädchen war dünn und hatte ingwerfarbenes Haar, sie war nicht älter als siebzehn, mit Sommersprossen übersät und nervös wie ein Hemd. Sie setzte das Tablett sehr vorsichtig ab und richtete sich wieder auf.
    »Is das getze alles, was se von mir wollen, Miss Gladys?«
    »Sinéad, wie oft habe ich dir schon gesagt, dass es jetzt heißt, nicht getze?« Gladys hob eine Braue und kam sich vor wie Ava Gardner.
    Das Gesicht des Mädchens nahm das tiefe Rot von Roten Beten an. Sie rang die Hände, als drücke sie einen unsichtbaren Waschlappen aus.
    »Entschuldigung, ich meinte ja auch jetze, Miss.«
    »Wie bitte?«
    »Äh, ich meinte jetzt, Miss.«
    »Das will ich wohl meinen. Jetzt ist jetzt richtig.«
    Gladys begann ihnen Tee aus einer silbernen Kanne einzuschenken. Elizabeth sah sie etwas verdutzt an. Lydia hatte bei der peinlichen Szene mit der jungen Frau mitgefühlt, die von ihrer Arbeitgeberin vor ihren Augen zur Schnecke gemacht worden war.
    »Können wir das noch einmal hören?«
    Das Mädchen hustete. »Ist das alles für jetzt, Miss Gladys?«
    »Gut, das ist doch schon viel besser! Und ja, im Moment wäre das alles.« Gladys suchte das Tablett nach Zuckerkrümeln, Fingerabdrücken auf den Löffeln, fleckigen Servietten oder verschütteter Milch ab und wirkte enttäuscht, dass diesmal alles in Ordnung war. »Vielen Dank, Sinéad. Sie können jetzt gehen.«
    Das Hausmädchen zog sich eilig zurück und schloss leise die Tür hinter sich.
    »Ihr habt ja gesehen, was ich meine. Sie sind alle schlecht erzogen. Ich muss ihnen nicht nur erklären, wie man das Essen zubereitet und die Bettdecken glattstreicht, ich muss mich auch mit ihrer falschen Grammatik auseinandersetzen.« Sie reichte Elizabeth den Tee in türkisem Denby-Porzellan mit Goldrand, teuer, modisch und so ganz anders als das hässliche, altmodische Royal-Doultan-Service ihrer Schwester. »Aber ich nehme an, dass du dich damit bestens auskennst, liebe Lily, denn du musst dich schließlich den ganzen Tag mit deinen Schülern herum schlagen.« Sie schenkte ihrer Nichte ein falsches Lächeln.
    »Na ja, es ist ja so, Gladys, wenn Kinder nicht lesen ...«
    »Nun, was wollt ihr beiden mit eurer Zeit anfangen?«, unterbrach Gladys Lydia eiskalt. »Seit ihr das letzte Mal hier wart, hat sich in Portaluce einiges verändert. Wir haben jetzt ein Theater: Die Rose von Tudor. Wenn ihr wollt, können wir uns ein Stück ansehen.«
    »Dafür hatten wir nie die Zeit«, sagte Elizabeth. »Perseus Cuthbert pflegte immer zu sagen, das Theater bringt das Grobe des Lebens ans Tageslicht, und warum sollte man all das törichte Geschehen aufführen, nur damit wir darüber lachen und weinen können?«
    Sie biss von ihrem Sandwich mit Brie und Gurke ab, erfreut, dass sie so scharfsinnig argumentiert hatte.
    »Meine Güte, Elizabeth! Wenn es nach Perseus Cuthbert gegangen wäre, hätte er jede Art von Unterhaltung einfach verbieten lassen. Spaß war in seinen Augen doch nur Perversion!«
    Elizabeth bemerkte das kampflustige Glitzern in den Augen der Schwester und beschloss, dieses eine Mal die Beleidigung ihres lieben verstorbenen Ehemannes zu überhören. Lydia fürchtete, das sei erst der Auftakt eines verbalen Tennisspiels voll bitterer Rückhände und scharfer Ballwechsel gewesen. Aber sie war absolut nicht gewillt, das Ballmädchen für sie zu spielen. Sie hatte Kopfschmerzen von der langen Fahrt und außerdem wurde ihr von Gladys schwerem Parfüm übel. Sie wünschte sich, dem stickigen Raum und den Krallen ihrer herrischen Tante entkommen zu können. Sie stand auf.
    »Ich würde jetzt gerne einen Spaziergang an der frischen Luft unternehmen. Wie steht es mit dir, Mutter?«
    Zu Gladys Ärger ging Elizabeth nur allzu willig auf den Vorschlag ihrer Tochter ein und stellte ihre Tasse auf dem Tablett ab.
    »Ihr habt euren Tee doch noch gar nicht ausgetrunken!«, protestierte Gladys, setzte sich aufrecht aufs Sofa und reckte ihren großen Busen heraus.
    Im Stehen fiel Elizabeth der tiefe Ausschnitt ihrer Schwester auf. Wenn Perseus Cuthbert da wäre, würde er ihr eine Decke überwerfen und sie ermahnen, sich vernünftig zu benehmen. Es

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