Der Umweg nach Santiago
– Machthabern, im Wochenbett verstorbenen Frauen, verstoßenen Brüdern –, Fehden, Verrat, Namen, die immer Land bedeuteten, die, wenn sie angegriffen wurden, Land abtreten mußten, und wenn sie sich miteinander verbanden, Land hinzugewannen, und Menschen und Macht.
Alfons hießen sie und dann Fruela und Aurelio und Silo und Mauregato und Bermudo und dann wieder Alfons und Ramiro und Ordoño und dann wieder Alfons, und damit sind wir erst im Jahr 886. Und sie haben auch Beinamen, der Keusche, der Dicke, der Schreckliche, der Diakon, der Große. Alfons der Keusche (791-841) läßt in Santiago de Compostela das erste Heiligtum errichten, erobert Lissabon, wehrt die Angriffe der Araber ab und sucht Kontakt zu Karl dem Großen. Sein Sohn Ramiro läßt die beeindruckende Aula regia bei Oviedo erbauen, sein Sohn Ordoño muß sich nicht nur mit den Mauren, sondern auch mit den Normannen auseinandersetzen.
Wir schmeicheln uns, in einer apokalyptischen Zeit zu leben, doch diese Menschen lebten mit der ständigen Drohung, all das würde untergehen, was sie besaßen und waren. Der nächste Alfons ist der Große, er erobert, mehr oder weniger endgültig, das Gebiet bis zum Duero und läßt sich zum Kaiser von Spanien krönen. Seine drei Söhne zwingen ihn zur Abdankung, das Reich wird geteilt, die Kronen fliegen durch die Luft, die von León, die von Asturien und die von Galicien. Danach läßt sich die Choreographie kaum mehr entwirren. Ordoño II . übernimmt das Königreich León von seinem Bruder García und macht die Stadt 924 zu seiner Residenz. Er besiegt Abd-el-Rahman und wird von diesem besiegt. Sein Nachfolger stirbt an Lepra. Eine Zeitlang wird es dunkel im Saal, großes Namensgeflüster erhebt sichaus einander widersprechenden Büchern. Eroberungen, Verluste, Abhängigkeit vom Kalifat von Córdoba. Normannen kämpfen mit maurischen Truppen in Lissabon. León wird gebrandschatzt, ersteht unter Alfons V . wieder aus der Asche, erhält phantastische Privilegien, wird neu aufgebaut. Dreißig Jahre später, als Alfons’ Sohn auf dem Schlachtfeld stirbt, endet die dreihundert Jahre alte Dynastie, die sich stets als Nachfolgerin der Westgotenkönige verstanden hatte. León unterliegt Kastilien, der nächste König heiratet die Schwester des Besiegten und nennt sich König von León und Kastilien.
Pantheon de los Reyes, León
Dies war natürlich die ganze Zeit auch schon europäische Geschichte, doch die Konturen sind nun etwas deutlicher. Die Kronen werden schwerer, weil mehr Land an ihnen hängt, aber es wird einfach weiter durchnumeriert. Der nächste Alfons ist der sechste, er erobert Toledo. Mit dieser Beute baut er Cluny wieder auf, und er heiratet die Tochter des Herzogs von Burgund. Alfons VII . wird 1135 in León zum Kaiser gekrönt, sogar die Araber erkennen seine Macht an, doch als er 1157 stirbt, spalten sich nicht nur die Reiche, sondern auch die Zahlen, und nun wird es erst richtig kompliziert. Kastilien und León gehen fortan getrennte Wege, jedes unter seinem eigenen Alfons, einem achten und einem neunten. Es geht nicht ganz sauber zu, denn der achte Alfons von Kastilien dringt bis nach Sevilla vor, einem Bollwerk der Almohaden, während der neunte Alfons von León ein Bündnis mit den muslimischen Herrschern schließt. Ein zehnter Alfons wird es sein, der Weise, Regent, Dichter, einer der großen Könige Spaniens, der wieder über León und Kastilien herrscht. Bis zu diesem Zeitpunkt ist viel Blut in der roten Erde versickert, und viel königliches Blut ist durch gemeinsame Blutbahnen geflossen, die dann wieder in neuen Wappenschilden auftauchen, doch hier endet mein raccourci dann. Ich bin in León, die Schichten Zeit, die mich umgeben, waren unsichtbar, und ich habe sie wieder sichtbar gemacht, alles ist verschwunden und alles ist noch da. Dies ist eine Stadt der Könige und eine Provinzstadt, das Mark fehlt, aber der Hauch der Macht weht einem zuweilennoch aus einer Mauer, einem Grab, einer Inschrift entgegen. Es ist eine Stadt, in der die Vergangenheit versiegelt ist; wenn man will, kann man sie sehen.
Ich komme hierher, um einiges wiederzusehen. Die Kathedrale, den Klosterhof neben der Kathedrale, die romanische Kirche San Isidoro, das Pantheon der Könige, einen unter romanischen Fresken zugedeckten Schlummerort, an dem die halbmythischen Namen versammelt sind, um so vieles schöner und geheimnisvoller als der Eiskeller des Escorial, wo der Faulbrand der Habsburger in Urnen und Sargungetümen
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