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Der Umweg nach Santiago

Der Umweg nach Santiago

Titel: Der Umweg nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cees Nooteboom
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Spaniens (1313-1374). Insgesamt sind es elf Routen, sie berühren Motril und Málaga, Cádiz und Tarifa, Baena und Córdoba, Murcia und Granada und alle Orte dazwischen, sie erzählen von Naturparks und Museen, von Granatäpfeln und Regen, von Gedichten, Ruinen und verborgenen Pfaden für den individualistischen Reisenden, den einzig wahren, jemanden, der sich seine Zeit und sein Tempo selbst wählt und im Schatten einer Kastellmauer oder zum Gemurmel eines Brunnens die Worte von Federico García Lorca aus der »Kleinen Ballade von den drei Flüssen« mitspricht:
    El río Guadalquivir
    va entre naranjos y olivos.
    Los dos ríos de Granada
    bajan de la nieve al trigo.
    ¡Ay, amor
    que se fue y no vino!
    El río Guadalquivir
    tiene las barbas granates.
    Los dos ríos de Granada
    uno llanto y otro sangre.
    ¡Ay, amor
    que se fue por el aire!
    Para los barcos de vela,
    Sevilla tiene un camino;
    por el agua de Granada
    sólo reman los suspiros.
    ¡Ay, amor
    que se fue y no vino!
    Guadalquivir, alta torre
    y viento en los naranjales.
    Dauro y Genil, torrecillas
    muertas sobre los estanques.
    ¡Ay, amor
    que se fue por el aire!
    ¡Quién dirá que el agua lleva
    un fuego fatuo de gritos!
    ¡Ay, amor
    que se fue y no vino!
    Lleva azahar, lleva olivas,
    Andalucía, a tus mares.
    ¡Ay, amor
    que se fue por el aire!
    Kleine Ballade von den drei Flüssen
    Durch Oliven und Orangen
    strömet der Guadalquivir.
    Die zwei Flüsse von Granada
    stürzen sich vom Schnee zum Weizen.
    O Liebe,
    die ging und nicht kam!
    Der Guadalquivir hat Bärte
    von der Farbe des Granates.
    Aber Klage sind und Blut
    die zwei Flüsse von Granada.
    O Liebe,
    in Lüften vergangen!
    Einen Weg für Segelschiffe
    hat Sevilla. Doch Granada –
    auf den Wassern von Granada
    rudern einsam nur die Seufzer.
    O Liebe,
    die ging und nicht kam!
    Wind im Haine der Orangen,
    hoher Turm, Guadalquivir.
    Dauro und Genil sind Türmchen,
    die schon bei den Teichen enden.
    O Liebe,
    in Lüften vergangen!
    Wer wohl sagt, das Wasser trüge
    Schreie, die wie Irrlicht zucken!
    O Liebe,
    die ging und nicht kam!
    Nein, es trägt Orangenblüten,
    trägt Oliven, Andalusien,
    deinen beiden Meeren zu.
    O Liebe,
    in Lüften vergangen!
    (aus: Federico García Lorca, Gedichte . Bibliothek Suhrkamp, 1977. Ausgewählt und übertragen von Enrique Beck)
    1960/90er Jahre

A BSCHIED VON G RANADA –
    D ER B LINDE UND DIE S CHRIFT
    Das Wasser berührte den Rand des Beckens und floß nicht darüber, die Löwen mit ihren blinden Gesichtern, den kleinen Ohren, den schuppigen Brüsten flüsterten mit Wasserstimmen, ich stand zwischen den schmalen Säulen wie in einem Marmorwald, ich war der Blinde, der die Fontäne im Becken gesehen hatte, der gesehen hatte, wie der Wind den einsamen Wasserstrahl, der senkrecht stehen wollte, sanft bog, und wie das Wasser zu etwas zerstob, das davonflog und für einen Moment irrsinnig auf blinkte, ich war derjenige, der die beiden kleinen Orangenbäume im Löwenhof des Palastes von Mohammed-ibn-Jusufibn-Ahmar gesehen hatte, und doch war ich ein Blinder, weil ich nicht wußte, daß es Buchstaben waren, da am Beckenrand, ich hatte nur Verzierungen gesehen, doch es waren Worte, ich sah einen sich selbst nachlaufenden, in sich selbst zurückfließenden Arabeskenstrom, und doch war es Schrift, aber sogar wenn ich so nahe an den Springbrunnen hätte herankommen können, daß ich den mäandernden Girlanden mit den Fingern von rechts nach links hätte folgen können, hätte mein Mund den Klang dieser Worte nicht bilden können, hier, zwischen diesen Mauern, bin ich blind und stumm. Jemand müßte neben mir stehen und diese Verszeilen in der Sprache sprechen, die von hier vertrieben wurde, die jetzt jenseits des Wassers in dem anderen Erdteil wohnt, und durch das Rauschen des Wassers würde ich die Worte nicht verstehen und gleichzeitig doch verstehen, weil ein anderer sie in dem Buch, das ich in den Händen hielt, ins Spanische übersetzt hatte, und so würde ich um den Springbrunnen herumgehen und die Zeichen betrachten und lesen, was ich hörte
    Blitzend, wie im Wettstreit mit dem Diamantenschmuck der Schale,
    Fallen Tropfen flüss’gen Silbers stäubend von dem Wasserstrahle,
    Und, geblendet von dem Schimmer, kann der Blick nicht unterscheiden
    Welches stille steht und welches rinnend flutet von den beiden ...
    Alhambra in Granada
    und solange ich an diesem Ort, an dem all die anderen Reisenden gestanden hatten, allein war, konnte ich versuchen, einen Gedanken zu

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