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Der Umweg nach Santiago

Der Umweg nach Santiago

Titel: Der Umweg nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cees Nooteboom
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solchen Winkels befindet sich in völliger Harmonie mit der dorischen Einfachheit der kalifalen Kunst, mit der römisch-córdobaischen Tradition, mit dem Charakter des Volkes.«
    So ist es. Ich hänge meinen Reiseführer an die Palmen und betrete, nach Entrichtung des Eintrittsgelds, die Kathedrale, die Moschee. Sehr still ist es darin, ein kühler, verzauberter und unendlich verzaubernder steinerner Wald. Überall rings um mich stehen Säulen, mit Bögen, ausfächernd wie Palmen. Außerhalb der Moschee singen die Vögel, doch es ist, als wären sie drinnen. Ich gehe umher, wende mich hierhin und dorthin, und nirgends hört er auf, dieser Zauberwald. Die anderen Wanderer verflüchtigen sich, ich bin allein. Seltsame Tore und Nischen locken auf allen Seiten, der Steinfußboden ist voller greller geometrischer Lichtflecke, nur das Herz des Waldes ist herausgerissen, dort haben wilde Christen den Mittelpunkt ihrer Kathedrale erbaut, den ummauerten Chor, eine Enklave, die hier verabscheuenswürdig wirkt. Karl V ., der seine Zustimmung zu dieser »Veränderung« gegeben hatte, tat es leid, als er sah, was man in seinem Namen angerichtet hatte. »Hier«, sagte er, »ist etwas zerstört worden, das einzigartig in der Welt war.« Wo er am schönsten gewesen sein muß, wo der Wald aus Säulen seine eigene Unendlichkeit suggerierte, hat man ein Loch hineingebrannt, durch das der Traum von Ewigkeit entweichen konnte.
    Und heute? Seit diesen ersten Reisen ist eine Lebensspanne vergangen, doch die Verlockung ist die gleiche geblieben, immer wieder zieht es den Reisenden zurück in diesen Landstrich, der so groß ist wie eine Welt, zum ozeanischen Cádiz oder dem mondänen Marbella, ins verträumte Granada der Nasriden, zur in sich gekehrten strengen Pracht von Úbeda und Baena, den leidenschaftlichen Wallfahrten nach El Rocío, den zurückgezogenen Dörfern der Alpujarras, der fast holländischen Ebene an der Mündung des Guadalquivir, den maskierten Büßern von Sevilla, den weißen Zähnen der Sierra Nevada, zum abendlichen paseo von Almería und Málaga, zu Märkten, Häfen, Stränden, maurischen Palästen und christlichen Kastellen, barocken Kathedralen und versteckten Einsiedeleien, bis er bei Algeciras oder Tarifa das Ende seines Kontinents erreicht hat und an einem klaren Tag wie von einem Balkon aus das magische Ifriquia sehen kann, dasAfrika, das in seiner sichtbaren Nähe das andalusische und spanische Paradox verkörpert.
    Einerseits findet man eine oft nostalgische Besinnung auf die arabische Vergangenheit, eine Neigung, sich mit einer für immer verschwundenen Kultur zu identifizieren, die ihren Glanz zurückgelassen hat, und andererseits die europäische Abwehr: Die spanische Polizei hat die Aufgabe, an den Küsten Andalusiens die pateras , die leichten Boote mit illegalen Einwanderern aus dem Maghreb, fernzuhalten. Das und die Angst vor einer Richtung des Islam, die, wie der algerische Fundamentalismus, jede Form von Toleranz und Synkretismus ablehnt, ist Teil der Schizophrenie unserer Zeit.
    Spaniens Ministerpräsident ist Sozialist und Andalusier, der für seine prekäre Mehrheit in erster Linie von diesem inzwischen autonomen Landstrich abhängig ist, doch der Boden, der verteilt werden sollte, ist entgegen allen Zusagen noch immer nicht verteilt, diesmal weil »Europa« nicht noch mehr Agrarprodukte raucht, es gibt schon zu viele.
    Und so lechzt Andalusien nach Industrie, wie es nach Wasser lechzt. 1992 hat es auf der Weltausstellung in Sevilla bewiesen, wie modern es sein kann, doch noch immer sind die Verbindungen zum Norden und zum Rest Europas nicht optimal, die Firmen, die das Land braucht, kommen nicht oder nur in unzureichendem Umfang, sie bleiben aus, wie der Regen ausbleibt, die einzigen, die kommen, sind die Reisenden, und zu Recht, denn für sie hat das andalusische Genie eine Überraschung parat, eine magische Verflechtung von Gegenwart und Vergangenheit in Form eines Buches, Führers, Vademecums ( The Legacy of Al-Andalus ), das anhand der Geschichte ein Routennetz vorschlägt, ein hinreißendes Labyrinth von Wegen, auf denen Könige und Prinzen, Dichter und Vagabunden, Geographen und Gelehrte in früheren Zeiten gegangen und gefahren sind. Es sind die Routen von Al Idrisi, von Hieronymus Münzer, von Leo Africanus und Ibn Battuta, von Washington Irving und Al Mutamid, der Almohaden und der Nasriden, des Kalifats und von Ibn Al Chatib,dem letzten großen Geschichtsschreiber des muslimischen

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