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Der Umweg nach Santiago

Der Umweg nach Santiago

Titel: Der Umweg nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cees Nooteboom
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einmal gemacht, aber mehr noch, man hat dieses Schiff so oft anlegen und ablegen sehen, daß man sich vorstellen kann, wie der Teide über der Welt zu schweben und alles von dort zu beobachten. Eine Stunde nach der Ankunft stehe ich an der Balustrade des tropischen Gartens, der den Parador hoch über dem Hafen umschließt, und sehe das Schiff daliegen, geschrumpft, verzaubert. Um noch an Bord zu können, müßte ich so klein wie ein Daumen werden. Es liegt jetzt still, nichts bewegt sich in seinem Umkreis, aber in Kürze bricht es wieder auf, und dann kann ich ihm mit den Augen folgen. Ich tue das oft und ich weiß, worauf ich warte: den Augenblick des in between . Am schönsten ist das an Tagen, an denen alles klar ist, das Wasser den öligen Glanz von Satin hat. Der Ozean spiegelt das Licht der Sonne, das Schiff steuertauf die leere Fläche zu, ich werde es fast bis zur anderen Insel verfolgen können. Nach etwa fünfzig Minuten ist es an jenem metaphysischen Punkt angelangt, an dem es nicht mehr zu Gomera und noch nicht zu Teneriffa gehört, es liegt wie ein kleiner Gegenstand auf der großen glänzenden Fläche, und der Reisende erinnert sich an die Empfindung, auf beiden Seiten ein aus dem Meer aufragender Schatten. Was am Fuße dieser hohen Schemen liegt, ist jetzt nicht zu sehen, sichtbar sind nur diese beiden grauen Giganten, die einst, im Tertiär, durch einen Wutausbruch der Natur entstanden sind. Der Reisende, also ich, versucht, sich das Getöse vorzustellen, mit dem dies einherging, doch es gelingt ihm nicht. Der Ozean ist zu friedlich, der Vulkan über dieser anderen Insel benimmt sich wie ein Mönch, der die Gewalt seiner Vergangenheit vergessen will. Ich sehe es von oben und weiß, daß ich, wenn ich an Bord bin, mich in diesem Augenblick umdrehe, um auf Gomera zu schauen, um es näher kommen zu sehen, wie Kolumbus vor fünfhundert Jahren, aber was man sieht, ist nur noch diese Form, hochgeworfene Steine, erstarrtes Wüten, auf dem keine Menschen leben können. Doch im Augenblick befinde ich mich nicht an Bord, ich stehe hoch über der Stadt und der Welt zwischen Jacarandas und Bougainvilleen. Wie lange es her ist, seit ich zum letzten Mal hier war, weiß ich nicht mehr, aber es gibt einem ein falsches Gefühl von Unendlichkeit, daß ich die Bäume erkenne, als wären es Menschen, daß die Palmen die ganze Zeit ihr Gespräch mit den Wolken und dem Wind nicht unterbrochen haben. Nur ich bin davongeweht und wieder zurückgekehrt, und wenn das nicht wäre, würde alles unverändert sein. Reisen ist Flüchtigkeit, und das liebe ich, jeder Abschied ist eine natürliche Vorbereitung, man soll sich nicht binden, so ist es nicht vom Schicksal bestimmt. Ich will hierher zurückkehren, wie ich an andere Orte zurückkehre, meine eigene Flüchtigkeit an der Unveränderlichkeit der Umgebung messen, bis es eines Tages vorbei ist und an dieser Stelle ein anderer steht, der über die Stadt und das Meer blickt, ein anderer, der die Glocken der restaurierten Kirche hört, in der Kolumbus nochgebetet hat, und durch das bronzene Läuten das Geräusch einer Handsäge, als werde ein Stück des Nachmittags abgesägt und damit der Zeit.
    Die kleine Stadt liegt in einer Halbsenke, die wie ein Schallraum wirkt, und es scheint, als kämen alle intimen Geräusche auf mich zu. Das ist ein verführerischer Gedanke – ich würde gern in eine Welt entsandt werden, in der noch nie jemand war, in der man noch nichts von der Erde gehört hat. Bilder hätte ich nicht bei mir, nur dieses eine Tonband, und mit seiner Hilfe würde ich das Leben auf der Erde erklären. Ob mir das gelänge? Das dumpfe Hacken einer Spitzhacke im Boden, Kinderlachen, ein altes Motorrad, das langsam den Berg hinauffährt, das Reden von Leuten am Kai, der traurige Elefantenschrei, mit dem das Schiff sein Kommen ankündigt. Ich frage mich, wie ich auf diesen Gedanken gekommen bin, und weiß die Antwort: Es ist, als repräsentierten all diese bescheidenen Geräusche die Essenz, das Parfüm des Lebens auf der Erde. Wie lange brauchte ich dafür? Lang, es würde ein Vortrag von einem Jahr oder so. Ich müßte erklären, was Spanisch ist, warum auf der Erde verschiedene Sprachen gesprochen werden, und gleichzeitig, weshalb an verschiedenen Orten der Erde dieselben Sprachen gesprochen werden. Weiß der Himmel, vielleicht müßte ich die gesamte Evolution, das Motorrad und die Spitzhacke erklären, nein, vielleicht sollten sie doch lieber einen anderen schicken und

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