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Der Umweg nach Santiago

Der Umweg nach Santiago

Titel: Der Umweg nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cees Nooteboom
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mich hier lassen, hoch über der Stadt, die daliegt wie ein Gedicht, das auf geheimnisvolle Weise, wie Gedichte es tun, etwas vom Leben der Menschen zusammenfaßt. Ich kann den schwarzen Kieselstrand sehen und die staubigen Palmen, die einen echten Boulevard darzustellen versuchen, den Holzkiosk von Francisco, der einen Falken und einen Papagei in einem Käfig hält, und wo man mittags für wenig Geld das Armeleutegericht der Insel bekommt, einen Teller mit einem Stück frischem Thunfisch mit Zwiebeln und mit Meersalz gekochten Pellkartoffeln in mojo rojo oder mojo verde , Soße aus rotem Pfeffer oder frischem cilantro , oder einen Teller mit den Resten anderer Tage, allem möglichem, ropa vieja ,alten Klamotten, wie sie das in Spanien nennen, von einer der drei hübschen Töchter Franciscos serviert, die nach den Kontinenten getauft sind, Africa, Asia, América.
    Die Stadt ist so klein, ich kann sie von hier oben in meiner Hand halten, den »Turm des Grafen«, in dem einst Beatriz de Bobadilla Kolumbus empfing, der unterwegs war nach Amerika, das damals noch nicht so hieß, und hier haltmachte, um seinen letzten aguada , seinen letzten Frischwasservorrat, an Bord zu nehmen. Ich sehe die schmalen, ungepflegten Straßen und die Häuser mit den handgemachten kolonialen Fensterläden, den glänzend polierten Platz mit den Ulmen, so alt, daß man denkt, die Konquistadoren hätten noch unter ihnen gesessen. Da ist auch der Zeitungskiosk, an dem man nur El Día bekommt, den die Benchijijua aus Teneriffa mitbringt, keine ausländischen Zeitungen, nicht einmal Zeitungen vom spanischen Festland.
    Die Sonne wird nun schnell hinter den Bergen verschwinden, zu dieser Stunde von aufgeblähten Wolken geschoben, wahren Wasserbüffeln. Ein Taubenschwarm kommt vorbei, sie fliegen pizzicato , die Flügel durchscheinend im Sonnenlicht. Als ich mein Gesicht vom Meer abwende, sehe ich die Straßen, jetzt noch von der Sonne beschienen, die in die Berge führen, eine bis hinauf zum Garajonay und von dort zu den anderen Küstenorten, und die andere, die in Hermigua im Nordosten der Insel enden wird. Doch bevor es soweit ist, muß ganz schön geklettert werden, die Küstenorte sind nicht direkt miteinander verbunden, dafür sind die Berge zu hoch, die Täler zu tief, auf einer Entfernung von nur dreißig Kilometern hat man das Gefühl, durch eine ganze Reihe verschiedener Landschaften und Klimazonen zu reisen, als wollte die Natur zeigen, was sie alles in ihrem Repertoire hat, um die Menschen herauszufordern. Nirgends zeigt sich das deutlicher als auf der offiziellen Karte des Instituto Geográfico Nacional. Daraufähnelt die runde Insel, die nur 378 km 2 groß ist, noch am ehesten einem alt gewordenen und danach versteinerten Apfel, einer harten steinernen Frucht mit Kerben und Schrunden, etwas, woran man sich die Hände verletzen könnte.Hunderte von Namen stehen auf der Karte der kleinen Insel, Roque del Herrerò, Crux de Cirilo, Casas de Contrera, Cabezo de Pajarito, Lomito del Loro, Playa del Inglès, Charco de los Machos, Cueva de las Palomas. Wie ein Klanggedicht kann man diese Namen vor sich hin singen, und in einigen klingt noch das Echo der ersten Inselbewohner mit, der Guanchen, der Überlieferung zufolge eine Rasse großer, blonder Menschen, die in den aufeinander folgenden Wellen spanischer Kolonisatoren und Zuwanderer, die nun schon seit über sechshundert Jahren diesen Archipel beherrschen, aufgegangen ist.
    Auf dem offenen Patio des Parador, über dem der sich verdüsternde Himmel wie eine lebende Decke hängt, steht eine strenge, klösterliche Bank, an der man eine Ablage herunterklappen kann, um sein Buch daraufzulegen. Daneben ist dann gerade noch Platz für ein Sherryglas. Die Wolken malen jeden Augenblick ein anderes Dach über meinem Kopf, die Palmen auf diesem Hof schreiben in dem leichten Wind, der von außen hereindringt, immer neue kalligraphische Zeichen, der Papagei in seinem vergoldeten Käfig sagt einen englischen Satz, in dem Heimweh mitschwingt, und ich sitze, als gehörte es sich so, auf oder in diesem merkwürdigen Möbel, mein Buch ungelesen neben mir, einen Hauch von Tropen um mich, und denke an einen alten, vornehmen Mann, der längst tot ist und mir einst beibrachte, daß »Sherry wie ein rostiger Nagel schmecken« müsse. Ich denke an das weiße Haar des Toten, die Kavalleriekrawatte, die er trug, die etwas zu knalligen Farben der Rosette seines nicht benennbaren Ordens am Revers seines ach, so großen

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