Der Umweg nach Santiago
Provinzlandtags) von Huesca geschaffen hat. Ich muß also nach Huesca, aber auch nach Roda de Isábena, weil dort die frühen Wandmalereien zu finden sein sollen, die Saura inspiriert haben. Zwei Maler, acht Jahrhunderte, aragonesische Kontinuität. Ich suche Roda auf der Landkarte. Es liegt im Pyrenäenvorland,nur weiße Straßen führen dorthin, und es ist weit, der Weg geht quer durch die Sierra del Castillo de Lugares. Dieser Kirche wegen ist das Dorf vielleicht noch nicht verlassen, es ist dort still wie in einer Gruft. Ein alter Mann sitzt schlafend in der Sonne, zu seinen Füßen liegt ein Hund, sonst ist niemand zu sehen, die Kirche ist verschlossen. Aber wie immer an solchen Orten haben unsichtbare Augen mich belauert, die Nachricht von dem Fremden hat sich herumgeflüstert, plötzlich ist eine Frau da und läßt mich ein. Aus dem Jahr 1018 ist die Kirche, sagt sie, als hätte sie den Bau selbst miterlebt, und erzählt von Grafen und Bischöfen und Stiftern, als lebten sie noch; sie weist mich auf die Inschriften hin, die wie ein wellenförmiger Nekrolog über die Kapitelle und Mauern des Klosterhofs laufen, klare Buchstaben aus dem zwölften Jahrhundert, derjenige, der sie gemeißelt hat, ist erst gestern mit seiner Arbeit fertig geworden. Der Sarkophag von Raymundus, der hier Prior war und später heiliggesprochen wurde, ein Engel mit dem Kopf eines anderen Engels auf dem Arm, die Geschichte ohne Worte an den Seiten des steinernen Sarges, Verkündigung, Heimsuchung, Geburt, Flucht nach Ägypten, schattenhafte Wandbilder in zerfressenen Farben, die Frauenstimme, die das, was ich sehe, beschreiben will und gleichzeitig erzählt, daß das Dorf verwaist, daß es die Jugend hier nicht mehr hält. Solchen Stunden ist eine gewisse Transparenz eigen, die Inschriften, die Bilder, sie fügen sich in die lange Reihe anderer ein, der Umweg hat mich einen halben Tag gekostet, ich hätte auch wegbleiben können, die Details werde ich vergessen, verwechseln, nicht aber die Essenz, die immer mehr mit Stille zu tun hat, auch wenn ich noch nicht weiß, wo sie mich hinführt.
Es ist gegen Abend, als ich in Huesca ankomme, ein bleierner Himmel hängt über einem Park mit gequälten, bizarren Platanen, im Winter die seltsamsten Bäume, die es gibt. Überall sieht man sie, in Burgos, Logroño, San Sebastián, nackte, starre Heere, in langen Schlachtordnungen aufgestellt, nachts marschieren sie durch deine Träume. Es gibt ein Konzert in der Diputación , ich will nicht hin und frage, ob ich die Wandgemälde von Saura sehendarf, und ich darf, jemand knipst die Lichter für mich an, drei Lederliegen stehen wahrhaftig da, um die Deckengemälde betrachten zu können, und so sehe ich es, im Liegen, ein wildes planetarisches Kreisen, ein großes Schweben farbiger Körper, die ihren eigenen Konturen entschlüpft sind, in einer fernen Ecke die krakelige Signatur des Malers. Ich versuche, an ein fernes Jahrhundert, 800 Jahre später, zu denken, und jemanden, der – wie ich an diesem Nachmittag 800 Jahre zurückgeschaut habe – hier liegt und zu dieser Decke hochstarrt, aber es gelingt mir nicht, soviel Permanenz gehört nicht mehr zu uns, genausowenig wie gemeißelte Sarkophage. Wir haben es zu eilig, um so lange tot zu sein.
Torla. 1957 gab es hier nur eine einzige Unterkunft. Ich war mit dem Bus gekommen, einem uralten Bus mit Pappkartons auf dem Dach und Holzkäfigen mit Hühnern. Bauern, die Ideales rauchten, ein satter, schwerer Geruch. Forellen und Ziegenfleisch und riesige Brotlaibe. Noch ein Mal würde ich mir hier gern über den Weg laufen, aber ich würde mich selbst nicht wiedererkennen, wie ich jetzt auch das Dorf nicht wiedererkenne, Hotels, Pensionen, den Eingang zum Nationalpark Ordesa. Ich fahre bis dorthin, wo der Schnee zu hoch wird, und sehe den hohen Gipfel des Monte Perdido, des verlorenen Berges. Auf der Karte sind große Hirsche eingezeichnet, in den fünfziger Jahren gab es hier noch Bären, und mit einemmal fällt mir wieder ein, daß ich damals dachte, ich würde eines Tages einen Bären sehen, und wer weiß, vielleicht denke ich das noch immer. Ich habe den Motor abgestellt, um die Stille zu hören, und sitze auf einem Stein in der verschneiten Wiese. Ein paar Vögel sind mitten in ihrer achten Sinfonie, und als ich gut hinhöre, kann ich mit meinen früheren Ohren die Bären hören, die die Bässe spielen.
Zwei Flüsse umschließen das Hochplateau, auf dem Jaca liegt, der Gállego und der Aragón. Die
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