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Der Umweg nach Santiago

Der Umweg nach Santiago

Titel: Der Umweg nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cees Nooteboom
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die Eskorte schwerbewaffneter Guardia civil, die Sonderbewachung des Gemäldes, das ein Volk an eines seiner eigenen Kriegsverbrechen erinnern soll, auch wenn es von deutschen Flugzeugen ausgeführt wurde.
    Ironie der Geschichte, schon einmal hatte ich ein ähnlich flagrantes Erlebnis, und zwar, als ich in Berlin ein Bild von George Grosz mit einem schweineähnlichen Offizier sah, der von zwei ebensolchen Männern mit Karabinern bewacht wurde.
    Grosz hätte gelacht, und Picasso tut es jetzt wahrscheinlich auch: Eine Eskorte der Guardia civil, um seine Anklage gegen das System heimzugeleiten, dessen Instrument unter anderem eben diese Guardia civil war – das ist unübertroffen.
    Aber vielleicht denken Spanier nicht so. In einer der letzten Ausgaben von El País stehen verschiedene Artikel über Eugenio d’Ors, Romancier, Philosoph, Journalist und wer weiß, was noch alles. Ein großer Schriftsteller, vergleichbar mit Unamuno und Ortega y Gasset, der sich in den Jahren nach 1936 unmißverständlich an die Seite des neuen Regimes stellte. Diese Tatsache wird in den Artikeln zwar kurz berührt, jedoch ohne Groll, eher im Ton von: »So war es nun mal, aber darüber brauchen wir jetzt nicht mehr zu sprechen.« Seltsam, und in den Niederlanden undenkbar. Aber wir hatten auch nie gute , der Rechten zugehörige Schriftsteller, oder vielleicht können Spanier Qualität und Versagen auseinanderhalten, wenn ein Schriftsteller es selbst nicht kann.
    Wie unendlich geduldig ist doch Land (Erde, Boden, tierra ). Es erträgt das Treiben der Menschen, kein Berg wird deshalb versetzt. Die Menschen bebauen, bewässern, beweiden, bauen Burgen und Dörfer, legen Straßen an, aber die Masse des Landesbleibt die gleiche, sie bleibt geduldig liegen, läßt Bäume und Korn wachsen, läßt auf sich fischen, jagen und Kriege führen, läßt sich Königreich, Provinz, Grafschaft, Bistum, Kalifat, Freistaat nennen, läßt sich durch diese willkürlichen, so gut wie nie natürlichen, von Menschen erdachten und damit nicht sichtbar existierenden Dinge aufteilen, die Grenzen sind, heißt immer anders und bleibt sie selbst. Die Straße, auf der ich gerade fahre, war einst eine grobe Spur, auf der maurische und christliche Heere entlangzogen, die leere Luft hat die Stimmen und Gerüche von Rittern und Fußvolk in sich aufgenommen, Speck und Kohl, Flüche und Gebete, vergessene Lieder. Auf meiner Karte hat die Straße keine Nummer, ist aber eingezeichnet. Kurz hinter Teruel biegt sie links in die hügelige Ebene nach Castilla la Nueva ab, Richtung Albarracín.
    Spanien nennen die Landkarte und ich diese Erde, doch vor tausend Jahren war das anders. Wo ich jetzt fahre, lag damals die Taifa As-Sahla, mit Albarracín als Hauptstadt. Taifa : kleines Fürstentum. Das mächtige Kalifat von Córdoba, das sich einst bis in den Norden »Spaniens« erstreckte, war zerfallen, und für einen, der die moderne Karte dieses Landes im Kopf hat, sah die alte von 1050 überaus merkwürdig aus. Links oben lag das christliche Königreich León (heute eine Provinz mit einer kleinen Hauptstadt). Dieses Königreich begann bei Porto und Zamora auf der einen Seite, umschloß das heutige Galicien und Asturien und grenzte auf der anderen Seite an das Königreich Navarra, das mit seinem südlichsten Zipfel bis zum Tajo reichte. Nach Osten hin wurde Navarra immer dünner. Zaragoza war maurisch, die Grenze der christlichen Welt lag dicht unterhalb von Barcelona. Perpignan und andere südliche Orte des Roussillon (heute Frankreich) gehörten zur Grafschaft Ampurien. Zwanzig Jahre später sah diese Karte völlig anders aus, und dreißig Jahre danach wieder. Geschichte als Bildergeschichte.
    Ich sehe es vor mir: Diese schwarzen Grenzen auf der historischen Karte bedeuteten mehr als nur Striche: da standen Wächter. Wie diese Reiche auch alle heißen mochten, sie benötigteneine politische Organisation. Wer glaubt, die Politik sei heutzutage verwickelt, sollte sich zum Trost einen Abstecher in die Geschichte erlauben. Politik war zu jeder Zeit verwickelt und fast immer bedrohlich, nur, es gab nicht so viel davon oder, besser gesagt, es gab überall (China, Indien, Japan) gleich viel davon, aber man wußte nicht viel voneinander. Die Medien von heute sind die Boten von damals, nur sind es Boten, die von viel zu weit kommen. Die ganze Welt ist unser Balkan geworden, fremde Konflikte gehen uns etwas an, da sie, so sagt man uns, auch uns bedrohen, jedes entfernte, aber auf dem

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