Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Umweg nach Santiago

Der Umweg nach Santiago

Titel: Der Umweg nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cees Nooteboom
Vom Netzwerk:
Männer die Hand in die Tasche steckte und eine Mitgliedskarte der Kommunistischen Partei herauszog. »›Nimm das, oder nicht eine einzige Waffe, die du hier siehst, geht an die 25. Division.‹ Ich schaute: In einem Verschlag weiter hinten lagen genug Waffen, um meine Leute neu auszurüsten. Es waren Maxim-Maschinengewehre, die wir noch nie bekommen hatten. ›Ich hole die Leute von den Wagen, und wir laden die Waffen ein‹, sagte ich. ›Nur wenn du diese Mitgliedskartenimmst.‹ Ich nehme an, daß sie bereits auf meinen Namen ausgestellt war, denn ich glaube nicht, daß sie erwarteten, ich würde mich hinsetzen und sie in diesem Augenblick selbst ausfüllen. Ich sagte ihnen, was ich von ihnen hielt.
    Da kam einer von ihnen auf mich zu, legte mir den Arm um die Schulter und sagte: ›Ruhig, Carod, reg dich nicht auf. Die Genossen haben das nicht richtig angepackt, es ist nicht korrekt. Ihr Spanier seid alle gleich. Reg dich nicht auf, es wird sich alles klären.‹ Ich erkannte den Mann: Ercoli. Erst später hörte ich seinen richtigen Namen: Togliatti, Führer der italienischen KP ...
    Immer noch wütend, stürmte Carod hinaus. Er befahl seinen Leuten, zu einem anderen Hauptquartier an derselben Front zu fahren. Von dort aus telefonierte er mit dem General, der die Truppen an der Levante (Spaniens Ostküste, Anm. d. Verf.) befehligte. Dieser klang wütend und befahl der Brigade zu bleiben, wo sie war. Aber das löste das Waffenproblem nicht. Der Oberstleutnant, der das Kommando über das Armeekorps hatte, versicherte ihm, in der Nähe sei ein Depot mit mehr als genug Waffen, um die ganze Division neu auszurüsten. Er hatte noch nicht zu Ende geredet, als eine Meldung von der Front kam. Mit der Faust auf den Tisch schlagend schrie der Oberstleutnant: ›Das ganze Depot ist gerade vom Feind erobert worden.‹«
    Schließlich, und nicht zuletzt aufgrund dieses sektiererischen – und zu Kriegszeiten verhängnisvollen – Gezänks siegten die Franco-Truppen in Teruel und benutzten die Stadt als Sprungbrett, um zum Mittelmeer vorzustoßen. Die Truppen der Republikaner waren in zwei Teile getrennt.
    Ihr Spanier seid alle gleich ... Ein bis ins Absurde getriebener Glaube an das eigene Recht, der zusätzlich von einer Gleichgültigkeit gegenüber dem Tod geschürt wird, die einem wie ein Teil des islamischen Erbes vorkommt. »Es lebe der Tod!« war der Schlachtruf der spanischen Legion in diesem Bürgerkrieg, und das scheint es noch am ehesten zu sein, ein fatalistischer Wille, zu etwas vorzudringen, was dann als Moment der Wahrheit bezeichnet wird. Die Geschichte Spaniens von Gerald Brenan beginntmit zwei Zitaten, die diesen absurden Zug im spanischen Charakter treffend aufzeigen. Das erste stammt von Práxedes Mateo Sagasta, einem Liberalen aus dem vorigen Jahrhundert: »Ich weiß nicht, wohin wir gehen, aber ich weiß eines – wohin es auch immer sein wird, wir werden uns verirren.« Das zweite Zitat stammt von Sebastiano Foscarini, dem venezianischen Botschafter am spanischen Hof von 1682-1686, und drückt, etwas blumiger, die gleiche Verblüffung aus wie die Bemerkung seines Landsmanns Togliatti ein paar Jahrhunderte später: »Und endlich würde ich sagen, daß, obwohl die Spanier genügend geistige Fähigkeiten, Fleiß und Mittel haben, ihr Königreich wiederherzustellen, sie es nicht wiederherstellen werden; und obwohl sie durchaus in der Lage wären, den Staat zu retten, werden sie ihn nicht retten – weil sie es nicht wollen. «
    Was soll man mit so einem Land? Es hassen oder lieben, und ich glaube, daß es an einem ebenso absurden und chaotischen Zug in meinem eigenen Charakter liegt, daß ich mich für letzteres entschieden habe, und daher stehe ich zur verkehrten Zeit des Tages und in der falschen Jahreszeit hier und fluche, weil die Tür der Kathedrale noch für etliche Stunden geschlossen bleiben wird. Spanische Zeiten sind gut für Spanier, aber ein Fluch für den Reisenden. Wenn man geglaubt hat, zwischen Zaragoza und Albarracín schnell noch Teruel einen Besuch abstatten zu können, so wird man eines Besseren belehrt: Alles, was es zu besichtigen gibt, wird zwischen zwölf und vier oder zwischen eins und fünf gnadenlos zugeschlossen, das einzige, was man in dieser Zeit tun kann, ist, in der Hitze umherzuschlendern oder ein viel zu schweres spanisches Mittagessen zu sich zu nehmen, woraufhin einem der Sinn nur noch danach steht, wie alle anderen ein Bett aufzusuchen und zu warten, bis die schlimmste

Weitere Kostenlose Bücher