Der Umweg nach Santiago
Hitze vorbei ist und Kirchen und Museen wieder geöffnet sind. Aber für Durchgangsreisende gibt es keine Betten, also streife ich aufs Geratewohl unter den düsteren Arkaden umher, wo alte Männer sitzen und vor sich hindösen, sehe auf einer hohen Säule einen lächerlich kleinen Stier und lese, daß »der Stier und der Stern TeruelsSymbole seit 1171 sind, seit Alfonso II . el Casto (der Keusche, der Reine, der Ehrbare) die Stadt den Mauren entriß«, starre in die Casa Juderías hinein, einen Laden voll mit Gewehren und Eisenwaren. Stille, Patios mit Palmen, Kühle und Geranien, Läden mit Schinken oder surrealistischem Gebäck, alte Frauen in Schwarz, eine Uhr, die am Nachmittag ruckt, Spanien, Provinz. Der Rest der Welt ist weit weg.
Dann doch besser ins Restaurant. Niedrig, dunkel, Schweinshaxen, schwarze, mit Reis gefüllte Blutwürste, Speckstücke, Kaninchen, dunkler, dicker Wein aus tönernen Krügen, große Brote aus einem anderen Jahrhundert. An einem Nebentisch sitzt eine vielköpfige spanische Familie, eine kleine Armee. Die Kinder haben alle eine Brille auf der Nase und schauen ehrfurchtsvoll zum mächtigen Vater am Kopfende auf. Was soll nur aus der lateinischen Welt werden, wenn der Vater-Mann nach nördlichem Beispiel demontiert wird? Etwas weiter ein klassisches Schauspiel, zwei spanische Herren beim Lunch. Der eine ist der reinste Aznavour mit Wimpern, auf denen ein Kind sitzen kann, der andere eher ein westgotischer Typ (hier erhalten sich alle Rassen und Stämme über die Jahrhunderte hinweg), aufrecht, streng und schweigend. Sie sitzen da, umgeben von den Dingen des spanischen Alltags, dem gigantischen Weinkrug, der Lammkeule, den schwarzen Zigaretten, mit denen sie das Fleisch räuchern, und später dem schwarzen, mitleidslosen Kaffee und den großen Schwenkern mit dickflüssigem Anis, groß genug für einen kapitalen Goldfisch. Der eine spricht und gestikuliert, der andere hört zu, die Kinder rufen »Papá«, mit dieser hohen, deutlichen Betonung auf der letzten Silbe, die ihn vom Papst unterscheiden soll, und ich sehe uns alle dasitzen in der endlosen Weite des spanischen Kontinents.
Es hängt von der eigenen Stimmung ab, welche Farbe Teruel hat – entweder Gold oder die Farbe getrockneten Schlamms. Die – noch immer geschlossene – Kathedrale und die Wachtürme sind aus Ziegeln erbaut, dünne, rechteckige Tafeln gebrannter Erde aus dieser Gegend, eigentlich eine Tarnfarbe. Es kommt einem vor, als wäre die Landschaft auf einmal in ein Gebäude ausgeborsten oder als setzte sie sich in einem Gebäude fort. Die Sonne verleiht den geometrischen arabischen Motiven im Mudejarstil Relief. Wenn man lange genug hinschaut, beginnt sich die Oberfläche des Turms zu bewegen. Beschreiben läßt es sich kaum, es ist reine Verzierungssucht ohne menschliche Figuren, ein Teppich aus Steinen und Kacheln, bei denen man sich nicht vorstellen kann, daß sie hart sind. Blinde, ineinander verschlungene Fassadenbögen, kleine Säulen mit stilisierten Blumen, Sterne, Streben, vorkragende Simse, grün und weiß glasierte Kacheln, eine komplett verschwundene islamische Kultur hat hier ihre Seele zurückgelassen.
Detail aus der Alhambra von Granada
Das Auge schweift hin und her zwischen den ockerfarbenen Höhen außerhalb der Stadt und der helleren Erdfarbe der Gebäude, Erde ist es, dieselbe Erde, die sich, befindet man sich erst wieder außerhalb der Mauern der kleinen Stadt, ohne Unterbrechung über Hunderte von Kilometern fortsetzen wird.
Nachdem Alfons die Stadt von den Mauren erobert hatte, konnten diese hier bis zum fünfzehnten Jahrhundert ungehindert weiterwohnen und ihren Mudejarstil zum schönsten ganz Spaniens entwickeln. Das hat dazu geführt, daß man noch immer das Gefühl hat, man bewege sich in einer arabischen Stadt, doch Teruel ist anders als Granada oder Córdoba, anders als die Aljafería in Zaragoza. Es ist eine Mischform aus romanischem und gotischem Baustil mit jener anderen Tradition, und sie hat sich in diesem so zerbrechlich wirkenden Backstein erhalten – denn bei allem, was Spanien auch zerstören mag, seine Vergangenheit hütet es mit einer Eifersucht, die man so nirgendwo sonst findet. Sammelwut, und das gilt nicht nur für päpstliche Bullen und Stadtrechte, Kastellmauern und Klostergänge, sondern auch für das vertrocknete Grand guignol heiliger Knie, Köpfe und Hände, die in goldenen Schaukästen ausgestellt sind.
Manche kommen hierher, weil sie den Film von Malraux über
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