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Der Umweg nach Santiago

Der Umweg nach Santiago

Titel: Der Umweg nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cees Nooteboom
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den Bürgerkrieg gesehen haben, andere, um sich diese lehmfarbenen Gebäude mit ihren arabisierenden Formen anzuschauen, aber die meisten Spanier locken die Liebenden von Teruel. Irgendwann im sechzehnten Jahrhundert entdeckte jemand die Leichen zweier junger Leute in ein und demselben Grab. Es waren die sterblichen Überreste von Isabel de Segura und Diego de Marcilla, beide geboren Ende des zwölften Jahrhunderts. Fragen Sie nicht, woher man im sechzehnten Jahrhundert wußte, daß es Leichen aus dem dreizehnten Jahrhundert waren, denn Legenden lassen keine Fragen zu, Legenden sind wahr . Diego stammte aus einer adligeren Familie als Isabel, aber Isabels Familie war reicher. Sie verliebten sich ineinander und wollten heiraten. Kommt nicht in Frage, sagte Isabels Vater, und Diego zog in den Krieg, um Ehre und Reichtum zu erwerben. Frühling war esim Jahr 1212, als er von dannen zog, und fünf Jahre gingen ins Land, bis er zurückkehrte, doch der Tag seiner Rückkehr war der Tag, an dem Isabel auf väterliches Geheiß dem Mann angetraut wurde, den sie haßte, denn sie liebte Diego noch immer. Diego fiel vor Wut und Gram vor ihren Augen tot um, und Isabel starb am folgenden Tag, als er begraben wurde. So ist das Leben, hart und ungerecht. Die Liebe ist spontan, der Vater herzlos, die Verliebten sind jung und schön, die Rückkehr erfolgt just an dem verhängnisvollen Tag und nicht in der Woche davor, und das Unglück ist ein Unglück bis in den Tod. In Legenden verpacken wir den Widerwillen gegen unsere eigene Relativität.
    Die Worte dieser Geschichte drangen in alle Ecken und Winkel Spaniens, sie wurden nachgeflüstert und nacherzählt in Tausenden von Hütten und Häusern, Tirso de Molina schrieb ein Theaterstück darüber, und ich besitze ein Buch von Jaime Caruana Gómez de Barreda, der 700 Jahre nach dem Ereignis anhand zahlloser Dokumente und Argumente beweist, daß die Geschichte wahr ist, und wer’s nicht glaubt, ist dumm oder schlecht oder beides.
    Die Liebenden liegen in der Grabkapelle neben der Kirche San Pedro. Wenn sie geschlossen ist, soll man am Haus Nummer 6 klingeln. Ich klingle, aber höre nichts. Die Tür der Kapelle ist und bleibt geschlossen. Ich klingle noch einmal und noch einmal. Nach einer Weile kommt eine mißtrauische Frau, die brummelnd die Tür öffnet und mir eine Eintrittskarte verkauft. Da liegen sie nun, zwei Alabasterfiguren auf Katafalken mit ihren Familienwappen. Seine Linke ruht in ihrer Rechten über dem Zwischenraum zwischen den beiden Monumenten. Sie stammen aus unserem eigenen Jahrhundert und besitzen die schaurige Echtheit von Kitsch. Die Kissen wie in Wirklichkeit leicht eingedrückt, die Gesichter in vornehmem Schlaf, ihre von ihm nun nie mehr erblickten Brüste hoch, sein Mund sinnlich, bereit, sich zu öffnen und die Zunge freizugeben, die über die Lippen leckt. Ich will mich gerade umdrehen und gehen, als die Frau mit gebieterischer Gebärde unter die beiden Körper deutet, auf die geöffnetenKatafalke. Ich gehe in die Hocke und schaue hinein, und siehe da, da liegen sie, zwei schwärzliche Mumien, jede in ihrem eigenen geöffneten Sarg. Aus Isabels kahlem schwarzen Schädel kringeln sich noch drei fusselige Haare, das graue Leder ihres Brustkorbs weist noch eine leichte Wölbung auf, Diegos Kiefer sind zu einem totenstillen Lachen aufgerissen, sein fehlender Mund ist weit geöffnet, das gespannte Leder zeigt die Konturen der Knochen, mit denen sie sich einst gestreichelt haben. Jetzt sind die geilen Figuren in all ihrer Ruhe da oben mit einemmal echte Menschen geworden, die in alabasterner Stille über der Strafe liegen, die sie nicht verdient haben, und noch taumelig von ihrem Anblick und dem schweren Wein dieses Mittags fahre ich aus der Stadt, hinein in die nicht nachlassende Hitze der gestutzten, wiegenden, wogenden, schwingenden Landschaft zwischen Aragonien und Kastilien. Irgendwo hinter einer Linie radierter Pappeln steht ein Kirchturm mit einem Nest, in das sich mit verkrampften, gebrochenen Bewegungen ein großer Storch niederläßt, eine kleine Schlange im Schnabel. Das Bild scheint sich mit den Bildern reimen zu wollen, die ich gerade gesehen habe, aber wie – das weiß ich auch nicht.
    1981

V ERBORGENE S CHÄTZE
    Während ich durch eine von Geistern bevölkerte Landschaft fahre, höre ich im Autoradio: » Guernica von Picasso ist wieder in Spanien!« Es folgt eine dramatische Beschreibung des Ereignisses: die geheime Landung auf dem Madrider Flughafen,

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