Der Umweg nach Santiago
das schon mit »Quelle der Lieder« hätte übersetzen wollen, muß ich das laut Geanine Baticle ( Zurbarán, Aperçu de sa vie et de son œuvre , Katalog Grand Palais) in das um soviel spanischere »Quelle der Steine« ändern. Steine gibt es genug in dieser sengenden flachen Gegend zwischen Mérida, Badajoz, Sevilla. Die Römer haben dort ihre Monumente hinterlassen, die Landschaft ist streng, klassisch, karg, die Orte Flecke von Weiß, das in den Augen schmerzt. Man sieht die Menschen schon von weitem daherkommen, scharf abgegrenzt in diesem Licht, das Menschen als Figuren definiert, die Dimensionen der Landschaft geben jedem Gang etwas Feierliches. All dies ist in seine Augen gedrungen – die Umgebung als erster Lehrmeister.
In dieser kontemplativen, asketischen Landschaft ist Sevilla die große Oase, da fließt der Guadalquivir, da leuchten die Farben. Zurbarán sieht die Farben, ohne ihr Fehlen und die majestätische Monotonie seiner Heimat je zu vergessen. Mit Ausnahme weniger Jahre in der Nähe des Madrider Hofes spielt sich sein Leben dort ab. Sevilla ist mächtig, der Hafen für die Kolonien, erst in seinem späteren Leben setzt als Folge der Kriege, die Philipp IV . mit Frankreich führt und die der Seefahrt schaden, der Niedergang ein.
Mit Zurbaráns Leben ist es wie mit seinen nicht existierenden Selbstporträts, die Bücher widersprechen einander, korrigieren sich gegenseitig, manchmal ist seine Schemenhaftigkeit wirklich geheimnisvoll, noch immer werden neue Dokumente gefunden. Der Tod ist ein beständiger Begleiter in seinem Leben, zwei seiner Frauen sterben, von den vielen Kindern aus seiner letzten Ehe mit einer viel jüngeren Frau lebt, als er selbst stirbt, nicht eines mehr, der Sohn aus der ersten Ehe, der schöne, verträumte bodegones , Stilleben mit Früchten, Kannen, Schalen malte, starb noch vor seinem Vater an der Pest. Er war ein Zeitgenosse Velázquez’,mit dem er befreundet war, der ihn bei Hofe freilich weit übertrumpfte, und auch von Alonso Cano, der über die Malergilde versuchte, ihn einer erniedrigenden Aufnahmeprüfung zu unterziehen, als er bereits einige seiner schönsten Werke geschaffen hatte. Murillo ist jünger und hat mit seiner italianisierenden Leichtigkeit mehr Erfolg. Einigen Büchern zufolge ist Zurbarán neidisch auf den jüngeren Maler, doch ein vor kurzem entdeckter Brief widerlegt das, und Neid ist auch eine zu niedrige Regung für den Mann, der diese Bilder malte.
Und zu ihnen kehre ich jetzt zurück. Sie haben etwas gemein mit ihrem Meister, ihr Schicksal ist von einer Wechselhaftigkeit, die sich nicht ganz deuten läßt, manchmal fehlen Stücke, wie bei dem rätselhaften Stilleben mit den Quitten, das im vorigen Jahr im Petit Palais zu sehen war. Es hängt für gewöhnlich im Museo de Arte de Cataluña, doch seine Herkunft ist nicht bekannt. Kenner halten es für einen Teil eines größeren Gemäldes, doch das ist den vier Früchten gleich, sie liegen da wie die Aufgabe eines Zenmeisters, als zu lösendes Rätsel, Dinge , sehr stark und in sich ruhend. Andere Bilder sind verschwunden, ohne eine Spur zu hinterlassen, wieder andere, die zu einer Gruppe gehörten, sind als Gruppe gesprengt und in alle Welt verstreut. Jetzt sind sie zum erstenmal wieder beisammen, bald, am Ende der Ausstellung, müssen sie, für immer oder für ein paar Jahrhunderte, wieder Abschied voneinander nehmen. Dann kehrt der Engel mit dem orangefarben lodernden Gewand (früher einmal im Karthäuserkloster de Nuestra Señora de la Defensión in Jerez de la Frontera) wieder nach Grenoble zurück, und die anderen beiden, die ihn flankierten, nach New York und Cadiz.
Während ich dies schreibe, liegt eine Karte mit La Santa Faz ( Schweißtuch der Veronika , Verdadera efigi , Wahrheitsgetreue Abbildung) vor mir. Die Abbildung dieser Abbildung ist in allen meinen Büchern über Zurbarán, aber die Karte ist mir die liebste, weil ich sie in Valladolid, in dem Museum gekauft habe, in dem ich das Gemälde zum erstenmal sah. La Santa Faz , das heilige Gesicht, gemalt von Francisco de Zurbarán, der sich pintor deymaginaría nannte, in diesem alten Spanisch, das das Y noch als I benutzte, la Pythagorica littera, der pythagoräische Buchstabe, der in zwei Richtungen weist (Andrés Manuel Calzada, Estampas de Zurbarán ). Maler der Phantasie.
Kann man wohl sagen. Der Legende zufolge drückte Jesus auf dem Weg nach Golgatha mit dem Instrument auf dem Rücken, das zum Symbol des Christentums werden
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