Der Umweg nach Santiago
Haltung, den ausgeweideten Bauch vorgeschoben, Gedärme auf einer Rolle.
Aber der ist jetzt nicht hier, andere Märtyrer haben seinen Platz eingenommen, Frauen, und der Unterschied könnte nicht größer sein. Ihr Martyrium wird nicht bildlich dargestellt, nur sinnbildlich, der Tod, den sie gestorben sind, ist auf rätselhafte Weise verschwunden, es sind Damen in großer Toilette auf dem Weg ins Theater, Frauen, die irgendwo hingehen, in Bewegung sind, dem Betrachter stets schräg zugewandt, mujeres que andan . Lediglich das Sinnbild ihres Todes tragen sie noch bei sich, und plötzlich bekommt, was grauenvoll wirken sollte, einen kulinarischen Touch, die Augen der heiligen Lucia liegen auf dem Zinnteller wie glotzende Spiegeleier, die Brüste der heiligen Agathe sind in zwei vollendete Puddingformen gegossen. Von Leid ist nichts mehr zu spüren, diese Frauen scheinen eher zu sinnieren. Ihre Körper sind in bauschigen, wallenden Gewändern von unglaublichem Luxus verborgen. Hier haben wir nicht die Eremitenaskese des Kamelhaars, sondern die wollüstige Sinnlichkeit von Samt, Seide, Satin. Diese Kleidung hat eine leidenschaftliche, gebändigte Sensualität an sich, die andere, flamboyante und doch gesittete Seite der spanischen Seele, die mit diesem Gegensatz lebt, nirgendwo besser zu erkennen als da, wo Wollust, Extravaganz ( lujuria , Luxus) den Tod berühren.
So etwas geschieht bei der Beisetzung der heiligen Katharina. Schwert und todbringendes Rad mit den gebogenen Messern neben dem offenen Sarkophag, in den die Engel sie heben. Aberwas für Engel! Ich erinnere mich, daß mir in einem Wiener Palastgarten erstmals bewußt wurde, welch eigenartiges Wesen eine Sphinx ist, einfach indem ich mich fragte, wo genau das Frauenfleisch in das eines Löwen übergeht, wie die Adlerschwingen nun eigentlich im Frauenfleisch verankert sind. Plötzlich sah ich sie mit dem Blick eines Pathologen und Anatomen und war verblüfft, daß mir solche Gedanken noch nie gekommen waren.
So ähnlich geht es mir hier. Plötzlich sehe ich diese drei bildschönen männlichen Engel als mögliche Wesen, sehe, wie behutsam sie mit der Leiche in ihrer seidenen Draperie umgehen müssen, um sich mit ihren gewaltigen aufgerichteten Flügeln nicht im Wege zu sein, stelle mir vor, daß sie dabei mit den Flügeln schlagen, höre dieses Geräusch, will wissen, was für Federn das sind, will selbst Flügel haben, und schon ist es geschehen.
Einen Augenblick lang hatte ich Flügel, auf einer Ausstellung von Francisco de Zurbarán, in Paris, 1988.
1988
Standbild von Cervantes in Madrid
A UF DEN S PUREN VON D ON Q UIJOTE
E INE R EISE AUF L A M ANCHAS W EGEN
Miguel de Cervantes sitzt an seinem Tisch und schreibt zum erstenmal den Namen seines Helden. Manche Menschen, die es nie gegeben hat, haben sich so in der Geschichte eingenistet, daß sich niemand mehr vorstellen kann, es habe sie nie gegeben. Ein solcher Mensch ist Don Quijote de la Mancha. Der Dichter ist schon an die Fünfzig, als er sich diesen Helden und dessen Namen ausdenkt, und auch sein Held ist so alt. »Es streifte das Alter unsres Junkers an die fünfzig Jahre; er war von kräftiger Körperbeschaffenheit, hager am Leibe, dürr im Gesichte; ein eifriger Frühaufsteher und Freund der Jagd.« Möglicherweise war sich der Dichter hinsichtlich des Namens, den er seinem Helden geben wollte, anfangs nicht ganz sicher, und etwas von diesem Zweifel klingt durch, wenn er sagt: »Man behauptete, er habe den Zunamen Quijada oder Quesada geführt – denn hierin waltet einige Verschiedenheit in den Autoren, die über diesen Kasus schreiben.« So wird der Leser in dieses schemenhafte Gebiet zwischen Wirklichkeit und Phantasie geführt, das ihn, wenn er ein guter Leser ist, immer weiter einspinnen wird. Es gab natürlich keine Autoren und folglich auch keine »Verschiedenheit in den Autoren«, Cervantes wußte es vielleicht einfach selbst noch nicht. Er spielt kurz mit Quexana, doch schließlich überläßt er die Namenswahl seiner nicht existierenden Hauptfigur selbst: »Und zuletzt verfiel er darauf, sich Don Quijote zu nennen.« Das einzige, was gleich von Anfang an feststand, war, woher er kam, auch wenn der Dichter dieses Geheimnis, das vielleicht nur er allein kannte, nicht preisgeben mochte: »An einem Orte der Mancha, an dessen Namen ich mich nicht erinnern will.« Den Ort kennen wir also nicht, wohl aber die Gegend. Und hier haben wir gleich eine dieser phantastischen Doppeldeutigkeiten,
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