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Der Umweg nach Santiago

Der Umweg nach Santiago

Titel: Der Umweg nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cees Nooteboom
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sollte, sein Gesicht in das Schweißtuch der Veronika. Das »echte« Tuch, das in Mailand auf bewahrt wird, zeigt das grauenvolle Bild eines leidenden Männergesichts en face . Die ymaginaría Zurbaráns malt es anders, als Dreiviertelprof il, das linke Ohr nach vorn, aber damit hört es dann eigentlich auch schon auf. Dieses Gesicht ist nicht zu sehen, es ist nicht da. Man sieht keine Augen, und nur, wenn man wirklich will, ist da ein Mund, schließlich muß an dieser Stelle ein Mund sein. Doch die Stelle ist leer, das Gesicht fehlt, ein tuchfarbener Fleck in dem orangefarbenen, rostigen, rötlichen Nimbus von Haar und Bart.
    »Zelt, Kapelle, Kreuz«, sagte eine deutsche Stimme, als ich davor stand, und wenn man so will, ist all dies da, das Zelt als Kapelle, die Form als Kreuz. Er hat dieses Bild spät gemalt, 1658, in diesem Schweißtuch steckt seine ganze Stofflichkeit, die Meisterschaft all jener Quadratmeter weißen Habits, die er sein Leben lang gemalt hat. »Fleisch malte er aus dem Kopf, aber diese Kutten hängte er auf eine Puppe ( maniquí )«, sagte ein Zeitgenosse, und man stellt sich vor, wie er dieses Bild gemalt hat (warum sehe ich jetzt doch den Mann vom Braunschweiger Porträt?). Er nimmt das Tuch, breitet es aus, befühlt das Gewebe. Er war ein tastfreudiger Maler, man sieht förmlich, wie sich der Stoff beim Berühren anfühlen würde.
    Jetzt hält er es hoch, schaut, wie die Falten fallen, packt es an zwei Stellen etwa ein Achtel vom oberen Rand entfernt, zieht im gleichen Abstand von der Mitte etwas Stoff über seinen Handballen. Ein unsichtbarer anderer wickelt nun einen Bindfaden darum. In dem weißen Lappen schimmert das Gesicht, das kein Gesicht ist, und als das Tuch aufgehängt ist, muß auch noch die obere Kantein der Mitte mit einem kaum sichtbaren Fädchen an der dunkelroten Glut der Rückwand befestigt werden, da sonst der Stoff in die Stirn fallen würde. Das Tuch legt sich in die Falten, die die Schwerkraft für einen Stoff dieser Dicke und Beschaffenheit vorschreibt, die Falten, in die Veronika es gelegt hatte, sind noch schwach zu erkennen, nichts ist zufällig im Fall dieses Tuches, es ist nicht zu beweisen und doch ist es so.
    Jetzt schreibt der Maler seinen Namen auf ein zerknittertes Stück Papier und nagelt es an die Wand. Das Papier ist eingerissen, es ist der gleiche Riß (wenngleich an einer anderen Stelle) wie bei einem Stück Papier neben der Figur des Märtyrers Serapion, als wolle er mit diesen winzigen Rissen auf eine Unvollkommenheit hinweisen. Man sieht, dieser Heilige wurde gemartert, die willenlose Linke ist die eines Toten, nur weil seine Hände oben angebunden sind, wird der Staketenzaun seines Gewands gehalten, der Tote ist die Puppe.
    Was der Maler verbirgt, ist der ausgeweidete Bauch, die verschwundenen, auf eine Winde gewickelten Gedärme, die ich einmal auf einem seiner anderen Bilder sah. Geht man jetzt noch einmal ganz dicht an dieses Gewand heran, so schwindelt es einen. Es ist ein alberner Trick, und doch: Decke einen großen Teil dieses Gemäldes ab und schau, was übrigbleibt. Nimmt man nur Kopf und Hände weg, so bleibt, wie ich vorhin bereits sagte, ein Monument, geht man noch tiefer, bis unter die Taille, so bleibt, das Wort drückt es schon aus, eine Abstraktion, in der sich das Auge verlieren kann. Nun werden die haarfeinen Querlinien sichtbar, kleine Pickel, Risse, Ansätze von Rot, von Grau und noch dunkleren Farben, dort, wo man, wenn man wieder zurücktritt, den Abgrund dessen erkennt, was sich, wenn die Darstellung wieder sie selbst ist, als Falte entpuppt. Eine Lupe hätte ich jetzt gerne dabei.
    Das andere Bild von Serapion sah ich ebenfalls in Paris, 1981, und ich hätte glauben mögen, daß es nicht vom selben Maler stammt. Die damalige Ausstellung war ein Versuch, die verstreute Sammlung Louis-Philippes zu rekonstruieren. Auf diesem Bild beziehungsweiseseiner Reproduktion war erkennbar, wie Machart zu Machwerk verkommt. Wie so viele andere Maler hatte auch Zurbarán eine Malfabrik. Er lieferte Engel, Cäsare zu Pferd, Unbefleckte Empfängnisse zu Dutzenden in die Kolonien. Es gibt Lieferscheine nach Lima und Buenos Aires, und auch damals wurden die argentinischen Schulden nicht beglichen, elf Jahre nach dem Versand der Rechnung hatte er sein Geld immer noch nicht. Wie groß sein eigener Anteil an dieser Massenproduktion war, läßt sich nicht immer feststellen, jedenfalls sah der »andere« Serapion unappetitlich aus, pathetisch in der

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