Der Umweg nach Santiago
in diesen Mühlen gesehen hat, und als ich hier oben bei den Burgruinen stehe, kann auch ich mich nicht ganz von dieser Vorstellung befreien. Es sind Mühlen, natürlich, doch mit diesem einen toten Auge mitten zwischen den vier kreisenden Flügeln sind es auch Lebewesen, in bedrohlicher Schlachtordnung aufgestellt. Ich gehe zwischen den schieferfarbenen Felsblöcken umher, sehe die endlose Ebene westlich des Hügels, gehe an den abgebröckelten Mauern mit ihren Zinnen entlang, und jedesmal, wenn ich mich umdrehe, sehe ich wieder die wartenden Mühlen vor dem schwärzer werdenden Gewitterhimmel. Nein, da oben befindet man sich nicht in der normalen Welt, sondern im Reich der Phantasie. Unten ist die Mancha der Erde, der Äcker, der Schweine, der Schinken und Käselaibe, eine solide Welt greif barer Dinge, aber von hier oben betrachtet bekommt dieselbe solide Welt den Aspekt des Traums und des Unmöglichen, wo alles anders ist, als es scheint, die Welt von Cervantes und seinem Helden, von dem Nabokov sagte: »Wir lachen nicht mehr über ihn. Sein Wappen ist das Erbarmen, sein Feldzeichen die Schönheit. Er steht für alles, was edel ist und hilflos, rein, selbstlos und ritterlich.«
Von diesem hohen Punkt aus kommt es mir vor, als läge meine Reise ausgebreitet vor mir, als könnte ich jetzt schon alles sehen. Die Straßen durchschneiden die Ebene der Südlichen Meseta, im Sommer eine glühende Platte, im Winter kalt und unwirtlich. Der Tajo im Norden, der Guadiana im Süden, das Land des Campo de Calatrava mit seinen Ritterburgen und Schlössern, La Mancha mit ihren Kornfeldern und endlosen Weingärten. DieseStraßen zogen sie entlang, Ritter, Kuriere, Heere, Bettler, Mönche, Bankiers, Mauren, Juden, Christen. An diesem Abend halten wir in Almagro, einem der spanischen Wunder, von dem die Benidorm-Besucher nie gehört haben, still, weiß, geheimnisvoll, eine Erinnerung an einstige Größe. Die Plaza Mayor ist hier rechteckig, ein großes Wohnzimmer mit Glasveranden als Mauern. Hier bauten die Fugger, die schwäbischen Bankiers Karls V . mit Handelsverbindungen zu allen Teilen des spanischen Weltreichs, sich ihren Renaissancepalast. Wir schlafen im ehemaligen Kloster Santa Catalina, aus dem inzwischen ein um einen alten Klosterhof gebauter Parador geworden ist. Hier braucht die Phantasie nichts mehr zu tun, man wird wie von selbst in alte Zeiten versetzt. Dies war der Sitz des Calatrava-Ordens, des ältesten Ordens von Spanien, 1158 von Zisterziensermönchen gegründet, um die Muslime aus Spanien zu vertreiben. Erst gingen sie wie Mönche gekleidet, später trugen sie einen weißen Mantel mit rotem Lilienkreuz. Im Halbdunkel glaubt man sie zu sehen, Gestalten, die durch die schmalen Gassen schwanken. Überall stehen Häuser mit den Wappen untergegangener Geschlechter, Löwen, Kronen, Wappenfelder, Banner, Ahnungen von höfischer Liebe und Feldschlachten, Macht und Vergänglichkeit.
Als es Abend geworden ist, spaziere ich noch auf dem Platz umher, doch erst am nächsten Tag werde ich ihn richtig sehen. Es ist der torpor des Mittags, Männer liegen schlafend auf Bänken, die Fahne hängt schlaff am Rathaus, ich lese die Verse am Standbild von Diego de Almagro, Generalkapitän des Königreichs Chile, gestorben in Cuzco und nie mehr nach Almagro zurückgekehrt, wo er geboren war. Er hat keine Ähnlichkeit mit Don Quijote, diesem Ritter zu Pferde, er kämpfte nicht gegen Windmühlen, sondern gegen Indianer, und vielleicht hat die Welt – außer Almagro – ihn deshalb vergessen. Ich besuche die Kirchen und das kleine prachtvolle Theater, das den Himmel als Dach hat, und überlege mir, wie es wohl war, in einer dieser Logen mit einer flackernden Öllampe neben sich zu sitzen und den Worten Lopede Vegas und Calderón de la Barcas unter dem Mond und den Sternen zu lauschen.
Der literarische Pilger, der den Spuren des Ritters und seines Knappen folgt, braucht nie zu suchen. Am Eingang jedes Ortes, der an der Ruta de Don Quijote liegt, haben hilfreiche Seelen ein metallenes Bild der beiden Helden an einer Hauswand befestigt, immer das gleiche, so daß es sich nicht mehr aus den Gedanken löschen läßt, ausgeschnitten wie eine schwarzeiserne Daguerreotypie sieht man die beiden den Weg entlangziehen, den man selbst auch zurücklegt, die hohe abgerissene Rittergestalt mit der Lanze und der Dickwanst auf dem niedrigen Esel unter ihm. Aber auch in den Orten selbst haben Bildhauer sich ausgelebt, von Ciudad Real bis hin zu El
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