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Der Umweg nach Santiago

Der Umweg nach Santiago

Titel: Der Umweg nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cees Nooteboom
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wird. In der Dorfmitte befindet sich der Große Platz, die Plaza Mayor, die spanischste aller Erfindungen, Herz und Mittelpunkt jedes Ortes in Kastilien, von Madrid bis zum unbedeutendsten Flecken. Aber an diesem Platz ist etwas Seltsames. Er ist nicht rechteckig, sondern ellipsenförmig, er erinnert an eine Arena oder ein Theater. Der Boden ist aus Sand, die Häuser ringsum haben Terrassen, die als Logen dienen können und jetzt als Restaurants genutzt werden. Das Essen ist hier noch erdverbunden, große Terrinen Suppe mit Knoblauch, Brot und Ei ( sopa de ajo ), gebratenes Milchlamm und Spanferkel, Bauerngerichte wie duelos y quebrantes , Eier mit einem großen Stück roter Wurst, Tomatensalat mit Zwiebeln, Literkannen mit schwerem rotem Wein. Von der Terrasse habe ich eine königliche Aussicht auf die Bewegungen des einzigen Schauspielers – des Dorfpolizisten, der von unten über uns alle wacht. Ich höre das Geräusch des Springbrunnens, der Vögel, der Uhr der Dorfkirche, die jede Viertelstunde meldet, daß wieder ein Stück Zeit dahin ist. Aus den verschiedenen Seitenstraßen tritt wie in einem seltsamen Theaterstück ein immer wieder anderer alter Mann, der sehr lange braucht, um mit Hilfe seines Stocks die Sandfläche zu überqueren, auf der ein paarmal im Jahr die Stiere losgelassen werden. Vor dem Rathaus wird gefegt, die Schwalben fliegen dicht über der Erde. Hin und wieder kommt die Sonne durch, in der Bäckerei ( fábrica de pan ) der schönen Frau Vidal werden mir die Namen von Gebäck und Brötchen beigebracht, und eigentlich würde ich gern an diesem Platz sitzen bleiben, in dem geschlossenen Kreis der galerias , mit einer Tüte voll mantecados de anis neben mir. Aber dies ist noch nicht La Mancha. In der dunklen gefliesten Bar des Mesón de la Vireyna hängen Fotos von tanzenden Mädchen in kastilischer Tracht und von Männern, die sich von furchterregenden Stieren aus der Arena des Dorfplatzes jagen lassen. Wir haben uns jedoch mit diesem anderen, noch vielfurchterregenderen Gegner Don Quijotes, den Windmühlen, verabredet.
    Die ersten, die wir an diesem Nachmittag in Schlachtordnung aufgestellt auf einer langen Hügelkette bei Consuegra zu Gesicht bekommen, beweisen sofort, daß der Ritter von der Traurigen Gestalt recht hatte, wer das nicht sieht, ist selber verrückt. Das Licht ist falsch, bleigrau gemischt mit Kupfer. Und natürlich sind es keine Mühlen, sondern Männer, die dort wild mit den Armen fuchteln, gefährliche Krieger, Ritter hoch zu Roß. Nabokov, der eine glänzende Studie über den Don geschrieben hat, sagt an dieser Stelle nur: »Man beachte, wie lebendig diese Windmühlen in Cervantes’ Beschreibung sind.« Und das sind sie.
    »›Denn dort siehst du, Freund Pansa, wie dreißig Riesen oder noch etliche mehr zum Vorschein kommen; mit denen denke ich einen Kampf zu fechten und ihnen allen das Leben zu nehmen.‹ (...)
    ›Was für Riesen?‹ versetzte Sancho Pansa.
    ›Jene, die du dort siehst‹, antwortete sein Herr, ›die mit den langen Armen, die bei manchen wohl an die zwei Meilen lang sind.‹
    ›Bedenkt doch, Herr Ritter‹, entgegnete Sancho, ›die dort sich zeigen, sind keine Riesen, sondern Windmühlen, und was Euch bei ihnen wie Arme vorkommt, das sind Flügel, die, vom Winde umgetrieben, den Mühlstein in Bewegung setzen.‹
    ›Wohl ist’s ersichtlich‹, versetzte Don Quijote, ›daß du in Sachen der Abenteuer nicht kundig bist; es sind Riesen, und wenn du Furcht hast, mach dich fort von hier und verrichte dein Gebet, während ich zu einem grimmen und ungleichen Kampf mit ihnen schreite.‹
    Und dies sagend, gab er seinem Gaul Rosinante die Sporen (...). Indem erhub sich ein leiser Wind, und die langen Flügel fingen an, sich zu bewegen (...) wohl gedeckt mit seinem Schilde, mit eingelegtem Speer, sprengte er an in vollstem Galopp Rosinantes und griff die erste Mühle vor ihm an; aber als er ihr einen Lanzenstoß auf den Flügel gab, drehte der Wind diesen mit solcherGewalt herum, daß er den Speer in Stücke brach und Roß und Reiter mit sich fortriß, so daß sie gar übel zugerichtet übers Feld hinkugelten.«
    Was man sieht, wenn man sich Consuegra nähert, ist das Moment der dichterischen Inspiration. Bei einem bestimmten Licht, einer bestimmten Wolkenkonstellation, der flimmernden Hitze, die über der Ebene liegen kann, bekommt hier alles etwas Gespenstisches, Unwirkliches. Natürlich war es Cervantes selbst, der, bevor sein Ritter es tun konnte, Riesen

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