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Der Umweg nach Santiago

Der Umweg nach Santiago

Titel: Der Umweg nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cees Nooteboom
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ineinander wie draußen das Wasser der beiden Flüsse. Oben an der Treppe sieht man die Büsten von Ludwig XIV . und seinem Sohn, Le Grand Dauphin, mit der verschwenderischen Lockenpracht ihrer Perücken, gegen die sich König Philipps kahle, kärgliche Haartracht ausnimmt wie die eines Mönchs, und unten steht man selbst wie ein Schaf zwischen anderen Schafen und wartet, bis die Herde, zu der man plötzlich gehört, durch ein Schloß geführt wird, das weder Don Carlos noch Philipp je gesehen hat, weil es zu ihren Lebzeiten noch nicht fertig war.
    In seiner heutigen Form existierte es erst auf dem Zeichenpapier, Teil eines größeren Plans mit Alleen, Wasserspielen, Kanälen, ein manieristisch geometrischer Entwurf von Juan Bautista de Toledo, der im Auftrag Philipps die Natur nach dessen Wünschen gestalten sollte.
    Aus der Luft betrachtet muß es ein phantastischer Anblick sein, die eigensinnigen Windungen der beiden Flüsse, gefangen zwischen den geraden Alleen mit jahrhundertealten Bäumen, die auf Kreuzungen zu- und von dort wieder auseinanderlaufen, eine eigenartige Mischung aus Mathematik und Natur, die mit ihren in Reih und Glied angeordneten Platanen, Pappeln, Eichen und Taxushecken die militärische Geradlinigkeit der Gestalter bestätigen darf.
    Dies hat Philipp noch gesehen, nicht aber, was später aus allen Winkeln seines Weltreichs von späteren Königen gepflanzt wurde, und auch nicht, was die Natur sich von all diesen menschlichen Eingriffen zurückerobert hat, eine einzigartige Landschaft aus Planung und Zufall, Fremdbestäubung und neuen Ideen, eine Mischung aus Park und Wald, aber noch immer ein Lustgarten, der ein Königsgeschlecht von der feindlichen Welt abschirmen sollte.
    Der Hof Philipps II . war ein reisender Hof, im Winter Madrid, im Herbst der strenge, klosterartige Escorial, aber von Ostern an mußte es Aranjuez sein. In der kleinen, nahe dem Palast gelegenen Stadt durften nur die Angehörigen des Hofstaats wohnen. Botschafter und alle, die sonst noch den Hof umschwirrten, mußten in benachbarten Städten Unterkunft finden. Erst unter dem zweiten Bourbonen, Ferdinand VI ., sollte der Architekt Bonavía den Auftrag erhalten, eine ebenso geradlinige kleine Stadt zu entwerfen, wobei die baumbestandenen Alleen eine direkte Verbindung zu den Palastgärten herstellen sollten.
    So ist es auch eine Gerade, die einen von Madrid aus auf der noch von Philipp selbst entworfenen Calle de Toledo vor die Hauptfassade des Palastes bringt oder, wie in meinem Fall, aus den Ebenen des Südens auf der genauso schnurgeraden Avenida de Andalucia in die Stadt hineinführt. Nur wenige Blocks, und man befindet sich im königlichen Zugriff – noch nicht im Palast, doch bereits am Hof.
    Ich bleibe in der Umarmung der Säulengalerien stehen, die die Barockfassade der Kirche San Antonio mit den Galerien der Prinzen und Ritter verbinden. Braut und Bräutigam, die jetzt erscheinen, veranschaulichen das Maß der beabsichtigten Leere, die das Standbild Ferdinands VI . so gut zur Geltung hätte bringen sollen. Auch dieser Bourbone wünschte einen königlichen Platz rund um sein versteinertes Ebenbild, er folgte den letzten Moden des italienischen Barocks, Feste und Menschen wollte er um sich haben, das Verbot, in Aranjuez zu wohnen, wurde aufgehoben, eine neue Zeit blitzte hör- und sichtbar auf, der Hof glänzte.
    Ferdinands Nachfolger, Karl III ., war ein aufgeklärter Despot, der alle neuen Ideen in Aranjuez ausprobieren wollte, mit Ausnahme ihrer äußersten Konsequenz, der Revolution. Auf Gemälden sieht man festliche Menschenmengen, es gab Tanz und Theateraufführungen, bei denen die Prinzessinnen auftraten, und es herrschte Frieden.
    Probleme sollten erst später kommen, als der Geist der Revolution über die Pyrenäen heranwehte, Pamphlete, revolutionäreSchriften in Büchern mit religiösem Umschlag, Fächer mit dem Bild des Sturms auf die Bastille.
    Goya war der Lieblingsmaler Karls IV ., und Goya dür fte es zu verdanken sein, daß wir sehen können, wie wenig Sorgen sich der König über all dies machte. Politik beschäftigte ihn nicht wirklich, lieber zimmerte und gärtnerte er, ging auf die Jagd und zeugte mit seiner Königin 14 Kinder. Wie Lästermäuler berichten, achtete er nicht allzu genau auf den mehr als freundschaftlichen Umgang der fruchtbaren Königin, Maria Luise von Parma, mit seinem besten Freund, dem Leibgardisten Manuel de Godoy, der nach einiger Zeit praktisch das Land regierte und es in

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