Der Umweg nach Santiago
zogen, kamen am liebsten hierher. Philipp II . heiratete hier zum vierten und letzten Mal und mischte sich, unerkennbar vermummt und verkleidet, am Morgen seiner Hochzeit unter die Gäste, um sich seine Zukünftige anzuschauen, bevor sie ihn sah. Nicht nur auf Schlachtfeldern, auch in Betten wird Geschichte gemacht, und oft sogar mit Bedacht, eine inzwischenleider ausgestorbene sexuelle Variante, denn die Vorstellung, daß man da im wahrsten Sinne des Wortes zugange ist, Königreiche aneinanderzukoppeln, muß einen doch vielleicht anregen. Auch Philipps neue Frau, die für den Thronfolger sorgen sollte, war eine Habsburgerin, und die genetischen Folgen blieben nicht aus. Der mönchische Philipp II . zeugte Philipp III ., der ebenfalls eine Habsburgerin heiratete, die ihm Philipp IV . schenkte, den geilsten König Europas, der seiner – natürlich – habsburgischen Frau acht Kinder machte, von denen sechs gleich starben, während die königlichen Bastarde am Leben blieben. Das Endprodukt war der arme Karl II ., der Behexte, der krank und impotent durch ein tragisches Leben stolperte. Sein Tod wurde zum Auslöser eines apokalyptischen Erbfolgekriegs in Europa.
Sein Bruder, der Philipp V . hätte werden sollen, war soeben im Alter von vier Jahren gestorben. Nichts hatte geholfen. Unsere Liebe Frau von der Einsamkeit (de la Soledad) war von einem Wallfahrtsort zum nächsten geschleppt worden, Unsere Liebe Frau von Atocha war aus ihrer Kirche ins Kloster der Unbeschuhten Karmeliterinnen getragen worden, und die letzte Roßkur, der Leichnam des heiligen Isidor, der immer an die Betten der Mächtigen gebracht wurde, wenn diese in Todesnot waren, hatte ebenfalls nicht angeschlagen, genausowenig wie die Urne des heiligen Diego von Alcalá. Wieder wartete Spanien auf einen König, denn ohne König würde das Erbe – all die Länder und deren Bewohner – streitenden Erben zufallen. Auch diesmal hatte man alle Vorsorgemaßnahmen getroffen. Als die Königin die ersten Wehen spürte, begab sie sich eilends ins Turmgemach. Sie hatte allein gespeist, da die Hofetikette es dem König verbot, dies mit seiner Frau gemeinsam zu tun. Im Turmgemach hatte man alles bereitgelegt: die drei Dornen aus der Dornenkrone Jesu, einen der Nägel, mit denen man Ihn ans Kreuz genagelt hatte, Splitter vom Kreuz, ein Stück von Marias Mantel, den Spazierstock des heiligen Abtes von Silos und den Gürtel des heiligen Juan von Ortega. Es half. Das Kind, das an jenem sechsten November 1661 geboren wurde, sollte ein elendes Leben führen undzum ewig kranken und wankelmütigen Spielball der verschiedenen Parteien werden.
Auf dem Jugendbildnis, das Carreño von diesem Karl malt, ist dies alles noch nicht zu erkennen, aber ein fröhliches Bild ist es auch nicht. Das lange, vorspringende Kinn war das seines Ururgroßvaters Karl V . Der Mund mit der kurzen Oberlippe drückt Mißbilligung aus, die Augen Argwohn. Er sollte sein Leben kinderlos beenden, Hauptfigur in einer Tragikomödie von Hexerei, Teufelsaustreibung; unter dem Kopfkissen ein Säckchen mit Eierschalen, Zehennägeln, Haaren und anderen Zaubermitteln, zur heißesten Zeit des Tages von eisiger Kälte geschüttelt, kaum fähig zu gehen, Mittelpunkt von Intrigen, gefangen zwischen Beichtvätern, Großinquisitoren, Ärzten, Teufelsaustreibern und Höflingen. Ganz Europa wartete auf seinen Tod und vor allem auf sein Testament.
Alle waren sie Partei, Kaiser Leopold, Ludwig XIV ., Wilhelm von Oranien. Entgegen allen Erwartungen dehnte sich sein Leiden Jahr um Jahr, ein Elend sowohl für ihn selbst als auch für Europa. Er starb zu dem fatalen Zeitpunkt, als nur noch ein Weltkrieg über sein Erbe entscheiden konnte. Ludwig akzeptierte in seinen letzten Tagen ein von Wilhelm von Oranien vorgeschlagenes Abkommen, dem zufolge Österreich Spanien, die spanischen Niederlande und die Kolonien bekommen, wohingegen Frankreich sich mit Neapel, Sizilien und Mailand begnügen sollte. Doch der österreichische Kaiser lehnte das großzügige Angebot ab. Er hatte von seinem Botschafter in Spanien und dem Bischof von Wien geheime Informationen darüber erhalten, was der Satan während der Teufelsaustreibung einiger Besessener in der Kathedrale der heiligen Sophia gesagt hatte. Daher wußte er, daß Karl verhext war, und also war das einzige, was jetzt noch zu geschehen hatte, daß der Satan sowohl beim sterbenden Karl als auch bei dessen Frau ausgetrieben werden mußte, und dann würde Gott schon dafür sorgen,
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