Der Umweg nach Santiago
opfern.« Unter ebensovielen Kichererbsen ( garbanzos ) wie Besatzungsmitglieder an Bord waren, befand sich eine mit einem eingeritzten Kreuz. Die Erbsen werden in einer Matrosenmütze durcheinandergeschüttelt. Kolumbus greift als erster hinein und erwischt die Erbse mit dem Kreuz.
Guadalupe (Photo: Eddy Posthuma de Boer)
Cortés betete hier neun Tage, Don Juan d’Austria, der illegitime Sohn Karls V . und Halbbruder Philipps II ., brachte nach der Schlacht von Lepanto die Decklaterne des türkischen Flaggschiffs hierher. Die schwarze, immer wieder anders gewandete Figur änderte ihren Ausdruck nie, Cortés’ Gebete sind verhallt, Kolumbus’ Kerze, die so viele Leben wert war, ist heruntergebrannt, die Lampe ist immer noch da.
Guadalupe liegt weit von allem entfernt, an keiner Hauptstraße, es bewahrt eine Vergangenheit, die nur noch wenig Gültigkeit besitzt. Man spürt es bereits, wenn man sich dem Ort nähert; auf einmal ist da eine Allee mit hohen Eukalyptusbäumen, die soviel Schatten werfen, daß man, nach einem heißen Tag, meint, in eine kühle Grotte zu treten. Doch es gibt noch andere Botschaften, schon vorher. In den Hecken sehe ich hie und da ein blaues Leuchten, einen schnellen blauen Blitz, und erst als ich stehenbleibe und warte, sehe ich sie, die blaue Elster, eine Abgesandte aus den Tropen, die nur in diesem Teil Spaniens vorkommt, wie um das Außergewöhnliche des Ortes zu bestätigen, und ebenso sehe ich, wenn ich geduldig bin, an einem schlammigen Tümpel im Schatten einer alten, hohen Brücke, wie die braune Form eines Adlers sich zusammenfaltet, herabsaust wie eine Waffe und dann, die beängstigend weiten Schwingen wieder geöffnet, mit der sich wehrenden, wegen der Höhe schon nicht mehr zu erkennenden Beute in den Fängen in Richtung Sierra davonfliegt. Andere Zeiten.
Von meinem Zimmer aus höre ich sie, diese anderen Zeiten. Ein verhaltenes Geräusch von mehr als zwei Füßen, und als ich den Fensterladen öffne, das dazugehörige Bild, ein Maulesel, der den Bergpfad herunterkommt, und auf ihm ein Mann mit einem zusammengeknoteten Tuch voll unsichtbarer Waren auf dem Schoß. Als ich auf die Frühstücksterrasse trete, sind die esteras bereits heruntergelassen, Markisen aus geflochtenem Stroh, dick und fasrig, nach Land riechend. Der Parador ist niedrig und weiß, eine ehemalige Lateinschule, um einen Patio herumgebaut, Rosen, Geranien, ein Springbrunnen, noch eine Form von Kühle,die in Kürze verschwinden wird. Von dort bis zum Zentrum sind es nur hundert Meter: die Kirche, das Kloster, ein dreieckiger Platz, ein anderer, nüchternerer Brunnen, aus dem ein Pferd säuft, an jeder Flanke einen Schilfkorb mit Steinkrügen voll Öl oder Wein. An der Ecke sitzt eine Frau mit ein paar flachen Gemüsekörben, ein Franziskaner überquert den Platz und jagt einen Schauer früherer Jahre über meinen Jungenrücken, einen mageren, vergessenen Rücken, der so tief unter dem anderen verborgen ist, daß ich glaubte, es gäbe ihn nicht mehr, aber diese braune Kutte mit dem weißen Strick, die gleiche Uniform, die mich im Internat um sechs Uhr morgens mit einer giftigen Glocke in der Hand weckte, die sich im bösen Dunkel von hundert Beichtstühlen verschwommen abzeichnete, Strafen verteilte, felix studium sagte, mich Griechisch lehrte, demütigte oder in die Mangel nahm und nachts lauerte, ob sich auch keiner bewegte, der gleiche Schauer, jetzt aber mit einem Hauch von Genuß. Nicht jeder sieht seine Jugend so emblematisch vor sich, von einem Strick mit drei Knoten umschnürt und bewahrt.
Jetzt tue ich, was die Pilger tun, ich steige die Treppen zur Kirche hinauf. Ein wenig werde ich bereits der Erde entrückt, auch wenn ich es selbst tun muß. Die Fassade entzieht sich der unmittelbaren Beschreibung, dafür ist zuviel Eigenartiges an ihr, weist sie zuviel Gegensätzliches und Asymmetrisches auf. Die Bauweise ist die einer Festung, doch in den Strudeln der flamboyanten Gotik über den beiden Portalen, in den vier ungleichen Teilen der Balustrade und in der Rosette scheint das Sonnenlicht nur so herumzuwirbeln, in ineinander aufgehenden Feuerkreisen. In der Rosette ist der arabische Einfluß noch am deutlichsten, wenn man lange hinschaut und dann die Augen schließt, hat man ein flammendes Labyrinth auf der verdunkelten Netzhaut, ohne Apparat hat man ein lebendes, sich bewegendes Foto gemacht, das man jetzt irgendwie in sein inneres Archiv bringen muß.
Ich trete durch die Klosterpforte links von
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