Der Umweg nach Santiago
ausgesehen hätte, mit dem Fluch, aber auch mit den Segnungen, die dazu gehören.
Es gibt ein altes kastilisches Sprichwort, das besagt: »Si Dios no fuese Dios, sería rey de las Españas, y el de Francia su cocinero« –»Wenn Gott nicht Gott wäre, dann wäre er König von Spanien, und der König von Frankreich wäre sein Koch.« Es scheint nicht, als habe Philipp seine Position selbst so beneidenswert gefunden. Es bleibt das Bild eines einsamen, von der Last seiner Länder fast erdrückten Mannes, der lesend und schreibend mit den fernsten Winkeln seines Reiches in Verbindung steht. Vierzig Jahre hat er regiert, und bis auf die letzten sechs Wochen vor seinem schrecklichen Tod widmet er sich seiner Korrespondenz, ganze Mauleselladungen mit seinen Briefen sind in den königlichen Archiven verschwunden, wo sie für alle Zeiten auf bewahrt werden, Tausende von Seiten mit Spinnenschrift beschrieben.
Auf dem Umschlag des Buches von Geoffrey Parker ist ein seltsames Brustbild des Königs zu sehen. Er steht noch in der Blüte seiner Jahre, das Haar wirkt dunkler als auf den Bildern, die ich gesehen habe, die Lippen sind dicker, der Kopf zu groß über dem steinernen Kragen. Für einen Moment erinnert es an den großen Kopf von Zwergen, und unweigerlich muß ich an seine Vorliebe für diesen besonderen Menschenschlag denken. Oft spricht er in den Briefen an seine Töchter von Magdalena Ruiz, der Lieblingszwergin, in die sie ganz vernarrt waren. Parker widmet ihr eine ganze Passage: »Im Prado hängt ein Gemälde, das Prinzessin Isabella zeigt, die Hand auf dem Kopf der treuen Zwergin, die bereits von 1568 an in ihren Diensten stand und 1605 im Escorial starb. Sie litt an epileptischen Anfällen, war alkoholsüchtig und konnte schreckliche Wutausbrüche, sogar in Gegenwart des Königs, bekommen. ›Magdalena ist sehr böse auf mich‹, schrieb Philipp, ›und sie ist mit der Mitteilung weggelaufen, sie wolle gehen.‹ Das Volk war ganz vernarrt in sie, und wenn sie in der Öffentlichkeit erschien, wurde immer gesungen: ›Eins mit der Peitsche! Eins mit der Peitsche!‹, um sie böse zu machen oder ihr Angst einzujagen. Man konnte Gift darauf nehmen, daß Magdalena sich danebenbenehmen würde – über etwas stolpern, sich überessen (vor allem an Erdbeeren) und übergeben würde, als erste seekrank würde – aber das alles machte einen Teil ihres Reizes aus.«
Klingeln schrillen, Wächter rufen, der Palast wird geschlossen. Langsam gehe ich die Flure entlang, als widersetzte sich ein unsichtbares Element einem schnelleren Gang, als wollten diese vierhundert Jahre mich zurückstoßen, festhalten in dem versteinerten Spinnennetz.
1983
D IE SCHWARZE M ADONNA IN IHRER GOLDENEN G ROTTE
An einer Glocke, einem Seil werde ich aus dem tiefsten Schlaf gezogen. Die Welt hat sich auf ein Zimmer verengt, in dem diese Glocke
lärmt. So läuten nördliche Glocken nicht: jeweils ein paar tiefe Schläge, als wate ein Riese durch das Wasser, und dann wieder ein heftiges, nervöses Gebimmel,
ein anderer, kleinerer Menschenschlag, der ihn einzuholen versucht. Das Zimmer, sehe ich, ist eng, niedrig, weiß verputzt, das Mobiliar schlicht, dunkel
gebeiztes Holz, eine bunte Kachel mit der heiligen Madonna von Guadalupe – immerhin, eine echte Göttin in meinem Zimmer –, der Boden rot gefliest. Vielleicht
bin ich ja jemand anders, zum Beispiel ein Professor an der Lateinschule, die dieser Gasthof früher einmal war. Nein, ich bin niemand anders, und diese Glocke läutet auch nicht für mich, sondern für die Mönche im Kloster gegenüber. Sie markiert etwas in ihrem Tag, unterbricht etwas, verkündet etwas, ein festgesetztes Zeitmaß. Mein Tag ist leer und lang, keine Pflichten, alle Rechte. Als das Geräusch aufhört, nicht länger drängt, höre ich die Form von Stille, die die ganze Zeit über auch dagewesen sein muß: das Rauschen eines Springbrunnens. Wada lubim , Guadalupe, verborgenes Wasser. Die schwarze Madonna hat einen arabischen Namen.
14. Februar 1493. Die Niña hat schwer zu kämpfen, die Segel sind zerfetzt, die Wogen, diese sich selbst aushöhlenden, herabstürzenden, einander verfolgenden Ungetüme, ertragen es nicht, daß dieses idiotische Ding, dieses kleine Schiff da fährt. Was stellt man dem nahenden Tod entgegen? Eine Kerze, fünf Pfund schwer. Kolumbus schreibt in sein Logbuch: »Ich gebot, durch das Los zu bestimmen, welcher von den Seefahrern nach Guadalupe pilgern sollte, um der Muttergottes diese Kerze zu
Weitere Kostenlose Bücher