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Der Umweg

Der Umweg

Titel: Der Umweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerbrand Bakker
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Anschließend ging er zur Spüle, hielt die Kippe unter den Wasserhahn und warf sie dann in den Abfalleimer.
    »Hat die Witwe Evans geraucht?« fragte sie, nachdem sie etwas Wein getrunken und noch einmal heftig geschluckt hatte, um aufsteigende Übelkeit zu bekämpfen.
    »Nein.« Der Junge blieb neben der Spüle stehen, er lehnte sich mit dem Hintern an die Anrichte.
    »Du mußt einkaufen fahren.«
    »Kommst du mit?«
    »Nein. Ich habe verschiedenes zu tun.«
    Er zeigte auf den Tisch. »Hast du gearbeitet?«
    »Du kannst auch wegbleiben«, sagte sie.
    »Wie meinst du das?«
    »So, wie ich es sage.«
    »Du versuchst es immer wieder, was?«
    Sie wollte ihm in die Augen sehen, was nicht gelang, weil das helle Fenster hinter ihm war. »Sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt«, sagte sie.
    Er blieb noch einen Moment stehen; dann holte er das Brot aus dem Rucksack. »Sam fehlt mir«, sagte er. »Mehr sage ich nicht.«
    Sie schnupperte. Seit ihrem Ausflug ins Freie hatte sie den Altweibergeruch nicht mehr wahrgenommen – als wäre er draußen trotz der Windstille verweht. Jetzt stieg er ihr wieder in die Nase, aus ihren Sachen, von ihren Achseln. »Fahr los«, sagte sie.
    Er nahm den Einkaufszettel vom Tisch. »Weshalb soll ich so viel Wasser kaufen?« fragte er.
    »Ich bin das Leitungswasser allmählich leid«, antwortete sie.
    »Gibst du mir ein bißchen Geld?«
56
    Die Fähre würde verspätet auslaufen. Anscheinend hatte sich in einer der Schiffsschrauben etwas verfangen; Taucher versuchten das Problem zu beseitigen, wurde über Lautsprecher durchgesagt. Worin genau dieses Problem bestand, erfuhr man nicht. Der Mann und der Polizist tranken ihr zweites Glas Whisky. Es war voll auf der Fähre. Überall Plastikweihnachtsbäume, Lichter, laute Engländer und schweigsame Niederländer. Ein Mann auf einer kleinen Bühne versuchte die Leute bei Laune zu halten. Sie saßen am Rand des Saals, an einem runden, auf dem Boden befestigten Tischchen. Das Fenster, über das der Regen in Strömen lief, bot Aussicht auf ein riesiges Gelände mit hell erleuchteten Chemieanlagen. Irgendwo tief unter ihnen stand das Auto des Polizisten zwischen ein paar hundert anderen. Heiligabend. Windstärke fünf bis sechs, Nordwest.
    »Um neun werden wir also nicht da sein«, sagte der Mann.
    »Macht nichts«, meinte der Polizist. »Wir haben doch Zeit. Oder?«
    »Ja.« Er nahm einen Schluck von seinem Whisky, den der Polizist an einer Theke mit viel Messing geholt hatte. »Ein feiner schottischer Whisky«, hatte er gesagt. » Single malt .« Ein rauchiger Geschmack, nach Torf. Der Polizist verstand etwas davon, er selbst trank sonst kaum stärkere Sachen. Plötzlich erinnerte er sich an eine andere, lange zurückliegende Überfahrt, zusammen mit einem Schulfreund. Sie hatten Gin Tonic getrunken, weil sie nach England reisten. Der Freund hatte die ganze Nacht auf der Toilette im Gang gekotzt, während er reglos in dem schmalen Bett auf dem Rücken lag und die Übelkeit durch Reiben über sein Brustbein zu bezwingen versuchte, stundenlang. In einer fensterlosen Kabine, mit zwei Wildfremden in den Etagenbetten an der anderen Wand. Damals hatte er seine Frau noch nicht gekannt. Jetzt kannte er sie und trank Whisky, ein Getränk für erwachsene Männer, dachte er, das ihn genauso oder noch besser auf England einstimmte. In seiner Reisetasche, im Kofferraum zig Meter unter ihnen, wartete ein von seiner Schwiegermutter gebackener Marmorkuchen. Das hatte Tradition: Wenn seine Frau und er verreisten, bekamen sie von ihr einen Marmorkuchen, den sie am Urlaubsort aßen, egal, ob sie auf einem Campingplatz oder im Hotel wohnten. Auch diesmal hatte sie gebacken, als wäre diese Fahrt eine ganz normale Reise, als wüßte sie nicht, daß ihr Schwiegersohn nicht mit ihrer Tochter, sondern mit dem Polizisten fuhr. Er schaute den Mann neben sich an. Der trank gerade einen Schluck, beobachtete ein rothaariges Mädchen auf der Bühne, das von dem Animateur ein Hütchen aufgesetzt bekam, bewegte den Whisky langsam im Mund, bevor er ihn schluckte. Sogar in Zivil sah er wie ein Polizist aus, aber das konnte auch daran liegen, daß der Mann wußte, wie der Polizist in Uniform aussah.
    »Mir ist mulmig«, sagte er.
    »So schlimm ist der Sturm auch wieder nicht«, sagte der Polizist.
    »Nein, nicht wegen der Überfahrt.«
    »Ach so, deswegen.«
    »Ja, deswegen. Ich wollte, es wäre eine ganz normale Reise.«
    »Dann stell dir vor, es wäre so.« Der Polizist trank von

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