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Der Umweg

Der Umweg

Titel: Der Umweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerbrand Bakker
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seinem Whisky, er schien sich wohl zu fühlen.
    Der Mann schaute zu der kleinen Bühne hinüber, auf der nun auch ein Clown erschienen war. Im Saal roch es nach Fleischkroketten. »Ich lege mich gleich hin«, sagte er.
    »In Ordnung«, sagte der Polizist.
    Die Kabine hatte keine Ähnlichkeit mit dem engen Verschlag in der Nähe des Maschinenraums, in dem er vor über zwanzig Jahren gelegen hatte. Zwei Betten, über jedem ein Gemälde, dazwischen ein großes Fenster; von dem kleinen Vorraum mit eingebautem Kleiderschrank kam man in ein Bad mit Toilette und Waschbecken. Der Mann saß auf einem der Betten und stocherte mit einer Stricknadel zwischen dem Gips und seinem Unterschenkel. Der Polizist zog sich aus, er faltete seine Sachen ordentlich zusammen, bevor er sie auf ein Bänkchen legte. Dann ging er ins Bad. Die Kabine brummte und vibrierte, als ob das Schiff abfahren wollte, aber von irgend etwas festgehalten würde. Er sah das dunkle, kalte Meer. Das Kratzen mit der Nadel half kaum. Er hörte Spuckgeräusche, den Wasserhahn, kurz darauf die Toilettenspülung. Anton hieß der Polizist.
    Stunden später wachte der Mann auf. Das Schiff war unterwegs, hob und senkte sich. Irgendwo in der Tiefe jaulte eine Auto-Alarmanlage, ununterbrochen. Bei jeder Bewegung, auf- und abwärts, zur einen und zur anderen Seite, spannte er seine Muskeln an, stemmte sich dem Schlingern entgegen, als müsse er das Schiff vor dem Untergang bewahren. Hatte ihm sein Freund damals weisgemacht, man könne Übelkeit durch Reiben über das Brustbein bekämpfen? Die Deckenlampe leuchtete auch ausgeschaltet noch schwach, als eine Art Nachtlicht. Der Polizist schlief, er atmete gleichmäßig, eine Hand auf der nackten Brust. Alles an ihm wirkte so stimmig. Sein Verhalten, sein Äußeres. Sehr kurz geschnittene, schwarze Haare. Der Mann wollte so schnell wie möglich hinunter von dem Schiff, hoffentlich erreichten sie Hull bald. Aber vielleicht hatten sie Rotterdam auch gerade erst verlassen. Er schaute nicht auf sein Handy, das als Wecker auf dem Wandbrett neben seinem Bett lag. Rieb über sein Brustbein, atmete tief ein und aus. Unglaublich, wie einsam er sich in dieser Kabine fühlte, mit dem schwachen, aber unübersehbaren Licht, einem schlafenden Menschen neben sich, aufgehängten Jacken, die sich in gleichförmigem Rhythmus von der Wand lösten und wieder zurückfielen. Es stand ihm frei aufzustehen, die Bar konnte noch geöffnet sein, vielleicht war sogar noch der Clown auf der Bühne. Er stellte sich die Reise seiner Karte vor, wahrscheinlich durch die Luft. Ich komme . Und dann? dachte er. Als es hell zu werden begann, war durchs Fenster nichts als graues Wasser zu sehen.
    Die Fähre erreichte Hull mit vierstündiger Verspätung. Es war ein seltsamer Vormittag, normalerweise blieben die Passagiere nicht so lange auf diesem Schiff. Personal war kaum zu sehen, auch für Unterhaltung wurde nicht mehr gesorgt, der Saal mit der kleinen Bühne war leer. Auf Frühstück war man hier anscheinend nicht eingestellt, weil das Schiff fahrplanmäßig um neun Uhr abends auslief und am nächsten Morgen um neun ankam. Der Mann und der Polizist hatten jedenfalls keinen Frühstücksraum gefunden. Überall waren Menschen mit Koffern oder Rucksäcken unterwegs oder saßen herum; sie mußten einfach abwarten.
    Als der Polizist dann seinen Wagen an Land gefahren hatte – alles ging glatt, und er fuhr wie selbstverständlich links –, schaltete er sein Navigationsgerät ein, das ihnen auf niederländisch den Weg wies. Bram hieß die Stimme. Der Polizist hatte ein Auto von der Sorte, über die der Mann sich ein bißchen ärgerte, wenn er sie in Amsterdam sah. Groß und schwarz. Der Mann blickte sich um. Graues Wetter, Hull war scheußlich, von grünen Hügeln keine Spur, auf der linken Seite lag ein breiter Streifen Wasser. Er war todmüde, und sein Bein juckte fürchterlich, er hatte vergessen, die Stricknadel aus der Reisetasche zu nehmen. Vielleicht hatte er sie sogar in der Kabine liegenlassen. »Danke, Bram, jetzt wissen wir Bescheid«, sagte der Polizist, nachdem die Stimme bei einer Folge von Kreisverkehren ununterbrochen Anweisungen gegeben hatte.
    »Können wir gleich irgendwo Kaffee trinken?« fragte der Mann.
    »Wär nicht schlecht«, meinte der Polizist. »Und was essen.«
    Kurz danach wurden sie auf einen Little Chef hingewiesen. Der Polizist parkte den Wagen, half dem Mann beim Aussteigen, reichte ihm die Krücken. Der Mann folgte ihm ins

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