Der unausweichliche Tag - Roman
Hintern vor sich, sah ihren müden, wehrlosen, schlafenden Körper und die groben, hektischen Gesten der Mörder, wie sie stießen und pumpten. Sie hätten ein großes Chaos angerichtet, hieß es damals in dem Artikel. Die Laken mussten mitten in der Nacht gewaschen werden. Man stelle sich vor! Während die bleiche, berühmte Frau im Sterben lag und die Morgendämmerung immer näher rückte, drehte sich die Trommel einer amerikanischen Waschmaschine …
Wenn sie, Audrun, Aramon auf diese Weise töten wollte, konnte sie sich ein solches Chaos nicht leisten. Trotz des Ekels, den sie zwangsläufig empfinden würde, wenn sie seinen freigelegtenHintern berührte und roch und wenn sie das Klistier in ihn einführte, müsste sie unbedingt sorgfältig vorgehen, wie ein Chirurg, mit Schutzhandschuhen. Sie dürfte keine Spuren hinterlassen. Keinerlei Spuren.
Und wenn sie erst einmal das Klistier in ihn eingeführt hätte, fantasierte Audrun weiter, würde das Gefühl, auf den Beutel mit der Flüssigkeit zu drücken, die giftige Ejakulation auszulösen, das Einströmen in seinen Körper zu spüren, ganz außerordentlich sein, dieses Gefühl würde beinah herrlich sein.
Wenn sie Aramon abgefüllt hätte, wenn der Beutel leer wäre und ihr Bruder bewusstlos daläge, würde sie das Klistier sehr vorsichtig herausziehen und durch einen Korken ersetzen, einen ganz gewöhnlichen Weinflaschenkorken, den sie vorher feucht und geschmeidig gemacht hätte. Dann würde sie seinen Arsch fest mit Lumpen umwickeln, damit der Korken nicht herausflutschte und das Gift wieder auslief. Wie lachhaft, wie wunderbar richtig obendrein, ihn so fest zu umwickeln, damit nichts mehr aus ihm herauskam! Und dann würde es nichts weiter zu tun geben; sie würde einfach nur warten. Und das würde nun ganz gewiss herrlich sein – dieses stille Warten, dieses einsame Warten, bis er gestorben war.
Jetzt lag sie wieder in ihrem Bett. Sicher in ihrem Bett . Mit dem Seufzen des Windes aus ihrem Wald, das sie tröstete. Sie hatte kein Testament gefunden.
Im gelblichen Licht einer Lampe mit Pergamentschirm starrte sie auf die Fotografie von Bernadette. Sie flüsterte Bernadette zu, sie fürchte sich nicht mehr vor dem Landvermesser – nun, da sie beschlossen habe, Aramon zu töten. Und mochten sie auch kommen und ihr Haus plattwalzen, es wäre ihr egal, weil Aramon bald in der Erde liegen würde, und sie würde sich im Mas Lunel niederlassen, in Bernadettes Bett, das wieder sauber und ordentlich wäre, ausgestattet mit einer neuen Matratze und mit blütenfrischer Baumwollbettwäsche …
Sie drehte das Foto um, weil sie nach einem Datum suchte.
Und sie fand diese Worte: Renée. Mas Lunel. 1941.
Renée . Sie sprachen nie über sie. Niemals. Nicht einmal Serge sprach über sie. Bis auf ein einziges Mal. Nur ein einziges Mal. Als er Renée als Erklärung für all das benutzte, was noch geschehen sollte …
Renée .
Audrun legte das Foto verkehrt herum auf ihren Nachttisch.
Kaum ein Jahr, nachdem dieses Foto aufgenommen wurde, war Renée tot. Getötet von deutschen Soldaten, als Vergeltungsmaßnahme für die ersten Erfolge der Maquisards in Pont Perdu.
Und da hatte Audrun gewagt, ihren Vater zu fragen: »Was hat Renée in Pont Perdu gemacht?«
Er hatte geseufzt und war auf seinem Stuhl herumgerutscht. »An dem Tag war sie eben einfach dort, ma fille .«
»Aber wieso? Wir kennen niemand in Pont Perdu.«
Mit seinem gebeugten, grau werdenden Haupt sah er so traurig wie ein Maultier aus, und er hatte Audrun leidgetan, und sie hatte sich dicht neben ihn gestellt und es dann bedauert.
Er hatte sich die Augen gerieben. »Frauen«, sagte er. »Man muss sie kontrollieren – Tag und Nacht, Tag und Nacht. Sonst gewinnen sie die Oberhand. Aber ich war ja nicht da. Ich war im Elsass. Ich konnte gar nichts kontrollieren. Der Krieg hielt mich gefangen.«
Renée lag schon im Grab, als er endlich nach Hause kam. Sie war seine Verlobte gewesen, das schönste Mädchen in La Callune, aber sie wurde ermordet, bevor er sein Leben mit ihr beginnen konnte. Vielleicht hatte sie ihn mit einem Geliebten in Pont Perdu betrogen, aber niemand sprach jemals mit einem einzigen Satz darüber. Serge Lunel ließ einige Monate vergehen, und dann heiratete er ihre eineiige Zwillingsschwester Bernadette.
» Kontinuität «, hatte Serge gesagt und das angegraute Hauptkummervoll gesenkt und die Hände im Schoß geknetet. »Das ist es, was ein Mann braucht. Das ist es, wonach er
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