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Der unausweichliche Tag - Roman

Der unausweichliche Tag - Roman

Titel: Der unausweichliche Tag - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Anwesenheit für den Künstler eine wichtige, eine unschätzbare Unterstützung bedeutete, und wenn er, Anthony, je nachdem, wonach es ihn an diesem Abend gelüstete, seine Macht einsetzen konnte oder eben nicht. Er konnte in die Ohren der Reichen und der Händler, in die Ohren von Freunden wie Lloyd und Benita Palmer flüstern: »Dieser Maler ist wirklich gut. Glauben Sie mir. In einem Jahr wird er riesig sein.« Wenn er dann später, vom Champagner schon leicht beschwingt, irgendeine langbeinige Frau auf zehn Zentimeter hohen Absätzen laut klackend durch die Räume stöckeln, rote Aufkleber von einem Karton abziehen und unter die Bilder heften sah. Und wenn er schließlich den Künstler beiseite nahm und, die Lippen leicht verziehend, sagte: »Ich habe den Leuten empfohlen zu kaufen. Machen Sie einen Gang durch die Galerie. Sehen Sie selbst, ob es funktioniert hat.«
    Und wenn er dann früh aufbrach – stets ostentativ früh –, nur um für eine Sekunde das herbe Aroma der Enttäuschung zu kosten, das ihn bei seinem Abgang umwehte. Er ging deshalb so früh, weil er häufig noch zu einer anderen Party musste, und wenn er dort auftauchte, geschah all das noch einmal von vorn. »Das ist Anthony Verey. Donnerwetter.« Und sein Gastgeber (oder die Gastgeberin) ließ den Gesprächspartner einfach stehen, um ihn, Anthony, zu begrüßen und, auf Flügeln der Erwartung, ins Gedränge zu begleiten.
    Dahin, jene Flügel. Und sein Name, dahin …
    Kitty legte die Beschreibung der Olivenölmühle weg und nahm sich weitere Broschüren vor. Verärgert, weil er gezwungen war, sitzen zu bleiben und zu warten, während sie den ganzen Haufen durchforstete, nahm Anthony seine Brille ab, rieb sich die Augen und sagte: »Die taugen nichts. Keines von denen.« Er hätte am liebsten gesagt: Sie taugen genauso wenig wie deine Aquarelle. So etwas sehe ich sofort. Um das zu beurteilen, brauche ich keine Ewigkeit.
    Doch er beherrschte sich, und Kitty hielt ihm das Bild hin, das sie gerade betrachtete. Darauf war ein hohes, längliches, gelb gestrichenes Haus zu sehen, das tatsächlich auch schon in ihm ein etwas stärkeres Interesse geweckt hatte.
    »Dies hier«, erklärte sie. »Veronica hat gesagt, dass ihr dies hier gefällt.«
    »Nun ja«, sagte er, »ich habe ebenfalls eine Weile darüber nachgesonnen. Aber ich finde es zu kastenförmig und eher abweisend.«
    »In der Beschreibung werden die wunderschönen hohen Decken erwähnt«, sagte Kitty. »Und dazu kommen hektarweise Weinterrassen. Stell dir nur mal den Garten vor, den du mit unserer Hilfe planen könntest.«
    Er nahm ihr das Bild aus der Hand, betrachtete es erneut und blickte dann zu Kitty. Er sah, dass ihr Lächeln zurückgekehrt war, ihr Pekinesenlächeln, und jetzt misstraute er ihm. Dahinter steckte eine Absicht, die er nicht ergründen konnte.
    In diesem Moment erschien Veronica, einen Krug mit selbst gemachter Limonade in der Hand. Sie lächelte ebenfalls. »Ich habe beschlossen, die Sache in die Hand zu nehmen, Anthony«, sagte sie heiter und setzte den Krug ab. »Ich habe das Maklerbüro angerufen und für Freitag einen Besichtigungstermin für das Haus verabredet.«
    Anthony presste die Bügel seiner Brille zusammen. Er wünschte, er hätte irgendetwas Stabileres in der Hand.
    Nein, hätte er am liebsten gesagt. Nein, V …
    Denn leider ließ es sich nicht länger verhehlen: Er hatte Angst. Angst davor, irgendeines dieser Häuser direkt in Augenschein zu nehmen. Regelrechte Sterbensangst, dass seine höchst fragile Zukunftsvision, sobald er vor einem dieser unbedarften, von fremder Hand aufgetürmten Gebilde aus Steinen, Ziegeln und Schiefer stünde, so endgültig zerbrechen würde wie eine Lalique-Vase.
    »V …«, begann er, »ehrlich gesagt, glaube ich nicht …«
    »Es ist wahrscheinlich überhaupt nicht das Richtige. Doch das ist egal. Du musst einfach endlich anfangen, dir Häuser anzuschauen, Anthony. Ich sagte ja, dass ich die Sache in die Hand nehmen würde. Und das tue ich auch. Wenn du wirklich in die Cevennen ziehen willst, musst du dich bewegen, rausgehen, dir Häuser anschauen, damit du etwas hast, woran du dich orientieren kannst.«
    Er schwieg, während Veronica die Limonade ausschenkte. Vor Ärger presste er die Lippen fest zusammen. Er fühlte sich hilflos, fast als stünde Lal hier ganz in der Nähe, im kühlen Schatten des Maulbeerbaums, und würde ihn ausschimpfen. Ihm völlig überraschend vorwerfen, er sei ein Heulbaby.
     
    Kitty Meadows sah

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