Der unausweichliche Tag - Roman
Verey«, meinte sie. »Ich werde den Besitzern Bescheid geben. Es ist allerdings eine sehr einsame Gegend. Ich möchte nicht, dass Sie sich verirren.«
Am Abend vor dieser Besichtigung waren Veronica, Kitty und Anthony zu einem Essen bei Monsieur und Madame Sardi eingeladen – Freunden von Veronica in der Nähe von Anduze. Veronica hatte den Garten der Sardis vollkommen neu gestaltet und, wie das Paar es ausdrückte, daraus »den Garten ihrer Träume« gemacht. Die Sardis drückten ihre Dankbarkeit wiederholt in Form von fabelhaften Essenseinladungen aus, erklärte Veronica Anthony.
Das Haus war massiv, grau verputzt und mit Türmchen verziert. Ein Miniaturschloss, dessen Stil architektonisch nicht in die Gegend passte, wie Anthony bemerkte, während sie die Auffahrt hinauffuhren.
»Anthony«, sagte Veronica ernst, »du hast doch nicht vor, heute Abend als Kritiker aufzutreten, oder?«
»Selbstverständlich nicht«, erwiderte er. »Dazu bin ich zu gut erzogen. Aber sieh dir das doch an: Wieso ist das kein Naturstein? Diese Art Verputz gehört in die Loire. Oder sind deine Freunde so barbarisch, dass sie die Steine verputzt haben?«
»Halt die Klappe, Anthony«, sagte Veronica. »Wir wollen einen netten Abend verbringen.«
»Ich habe nichts Gegenteiliges im Sinn.«
»Dann halt die Klappe.«
Die Sardis – Guy und Marie-Ange – waren Menschen, die sich mit ihrem Reichtum wohlfühlten. Das Erste, was Besuchern ins Auge fiel, war ein beeindruckend großer Brunnen, fast wie der vorm Weißen Haus in Washington, DC. Er sprühte seine funkelnde Fontäne in einen Seerosenteich mitten im Wendebereich der makellos bekiesten Auffahrt, die von Florentiner Zypressen, kunstvoll beschnittenem Buchsbaum und Kissen aus Tenerium und Zypressenkraut gesäumt war. Als sie aus dem Auto stiegen, sagte Kitty. »Ich liebe diesen Garten. Die Luft riecht nach Maquis .«
»Das war ja auch der Sinn der Sache«, sagte Veronica. Und Anthony überlegte mit einem leichten Freudenschauer, ob das nicht fast nach einem kleinen Tadel geklungen hatte. Er sah zu Kitty hinüber, die sich für den Abend in eine marineblaue seidene Nehru-Jacke mit einer sehr weiten weißen Hose geworfen hatte, die ihre kurzen Beine noch kürzer machte. Sie lächelte. Sie sah nicht nach einem Tadel aus. Erleichtert dachte er daran, dass sie morgen früh nach Béziers fahren würde, um mit einem Galeriebesitzer über ihre jämmerlichen Bilder zu sprechen. Dann würde er V mindestens vierundzwanzig Stunden für sich allein haben. Tadel hin oder her, bald würde sie ohnehin verschwunden sein. Vielleicht fiel ihm ja sogar irgendetwas ein, das sie dazu bringen könnte, freiwillig wegzubleiben.
Die Gäste der Sardis wurden nicht von Marie-Ange, sondern von einem Butler empfangen, der ihnen auf einem Silbertablett gefüllte Champagnerflöten offerierte. Dankbar trank Anthony einen Schluck, als ihm auch schon eine kurze Marmorsäule ins Auge sprang, auf der die schöne 19.-Jahrhundert-Kopie einer Borghese-Vase thronte, die derjenigen im Louvre ziemlich ähnlich sah. Es ging nicht anders, er musste einfach näher herantreten und sie begutachten. Fast hätte er die Brille aufgesetzt, um sich seinen ersten Eindruck zu bestätigen (»Mögliche Restaurierung am Rand? Wahrscheinlicher Wert um die 30 000 Pfund …«), konnte sich aber noch beherrschen, denn erwollte auf keinen Fall wie ein ordinärer Auktionator wirken. Trotzdem fand Marie-Ange Sardi ihn genau in dieser Haltung vor – wie er den Champagner aus der viel zu kleinen Flöte wegtrank und die Borghese-Vase untersuchte.
»Ah ja! Veronica hat uns schon erzählt, dass Sie ein Antiquitätensammler sind«, sagte sie in einwandfreiem Englisch, »und ich sehe, Sie sind geradewegs auf die Vase zugesteuert. Was denken Sie?«
»Oh«, sagte Anthony, »guten Abend, Madame Sardi. Entschuldigen Sie, aber ich konnte einfach nicht widerstehen, einen ganz kurzen Blick …«
»Aber nein. Wieso denn? Sie ist eine Rarität. Mein Mann entdeckte sie in Florenz. Es handelt sich um eine Kopie der Borghese-Vase im Louvre aus den 1850er Jahren. Sind die tanzenden Figuren nicht einfach bezaubernd?«
Marie-Ange war Mitte fünfzig, schlank und sehr gepflegt, hatte jedoch eine Haut, die unter den Verheerungen der Sonnenanbetung zu leiden begann. Anthony nahm rasch seine Schätzung vor und glaubte ziemlich richtig zu liegen. (»Vermutlich zum Teil jüdisch, trotz des katholisch klingenden Namens. Könnte Guy Sardi ein hübsches Vermögen
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