Der unausweichliche Tag - Roman
eingebracht haben, dem er dann noch ein weiteres durch Investment Banking hinzufügte, nicht viel anders als Benita und Lloyd Palmer …«)
Jetzt wagte Anthony doch, seine Brille hervorzuzaubern und rasch aufzusetzen. Er brannte darauf, die Vase zu berühren. »Sie ist sehr schön«, sagte er. »Und die Satyrn auf den Henkeln sind wirklich ein außergewöhnliches Detail, nicht wahr! Dann sammeln Ihr Gatte und Sie also auch?«
»Nein, nicht richtig. Wir kaufen einfach Dinge, die uns gefallen. Wir besitzen eine Menge Louis-XVI-Möbel. Und einige der Gemälde könnten Sie vielleicht auch interessieren. Wir haben zwei Corots hier unten, doch da wir den größten Teil des Jahres in unserem Haus in Paris verbringen, befinden sich unsere kostbarsten Schätze denn auch dort.«
Aha, dachte Anthony, also richtig dickes Geld, die Sorte von unangreifbarem Vermögen, das ich hätte machen sollen und auch machen würde, wie ich immer dachte – bis ich begriff, dass die Zeit dafür endgültig vorbei war. Obwohl er lächelte und Marie-Ange höflich zunickte, spürte er wieder einmal, wie ihn der Neid zerfraß. Am liebsten hätte er auf dem Absatz kehrtgemacht, wäre in den Garten gegangen und dann, nachdem er ein wenig den Vögeln zugehört hätte, weggefahren. Aber Marie-Ange hatte ihm die Hand leicht auf den Arm gelegt. »Kommen Sie, ich bringe Sie zu Guy«, sagte sie, »und zu den anderen.«
Andere?
Oh Gott. Veronica hatte ihn nicht vorgewarnt, dass es sich um eine Dinnerparty handelte. Und natürlich waren die Freunde von Guy und Marie-Ange Sardi allesamt reich und allesamt furchtbar lässig in ihrem Vertrauen auf eine Zukunft, in der alles stimmen würde: Ihre weißen Leinenservietten wären stets gestärkt und sehr groß, ihr Wein würde mit der korrekten Temperatur serviert, ihre Chauffeure würden vor der Tür bereitstehen, ihre Kleidung wäre seidengefüttert … Als Anthony der Vase den Rücken kehrte, um Marie-Ange in den salon zu folgen, überkam ihn plötzlich dieselbe tiefe Müdigkeit, die er aus seiner letzten Zeit in London kannte, wenn er einen ganzen Tag in seinem Laden gesessen und nichts verkauft hatte.
Guy Sardi war ein gutaussehender, braungebrannter Mann, ein wenig kleiner als Anthony, aber mit einem so selbstbewussten Auftreten, einer so geraden Haltung, dass er größer wirkte, als er tatsächlich war. Er hatte immer noch schöne Augen, mit dichten, dunklen Wimpern. Diese Augen sagten: Ich kann nach Lust und Laune verführen: Männer und Frauen aus meinen Kreisen, Angestellte, Vorstandsvorsitzende multinationaler Konzerne, Sekretärinnen, Croupiers, Dienstmädchen, selbst Hunde wollen mir die Hände lecken …
Sardis Händedruck war fest, fast barsch, und prompt fühlte Anthony sich schlaff und alt. Er schaute Guy Sardi an und stelltesich vor, was für ein Bild er selbst wohl in Sardis Augen abgab. Wie absolut lächerlich ist mein Wunsch, weiterzuleben, dachte er. Ich bin doch schon längst erledigt. Was soll dieses lächerlich quälende Festklammern?
Sie wechselten ein paar obligatorische Worte über die Borghese-Vase, und als sein Gastgeber sich neuen Gästen zuwandte, drängte es Anthony zu Veronica, die in einer anderen Ecke des Raums stand. Doch dann hörte er schon von weitem, wie sie sich auf Französisch mit einer Frau unterhielt, die er vage wiederzuerkennen meinte. Sie mochte eine Politikerin sein oder eine jener Schauspielerinnen, deren Namen man nie behielt und die ihr Geld mit tausend kleinen Auftritten in teuren, großen Filmen verdienten. Da Anthony wusste, wie tödlich beleidigt solche Menschen waren, wenn man sie nicht erkannte, machte er lieber einen kleinen Schwenk zu dem Kellner, der gerade mit einer Champagnerflasche herumging, und hielt ihm sein leeres Glas hin.
Über die Schulter des Kellners hinweg erspähte er oberhalb eines kleinen Mahagonispinetts (»Französisch, spätes 18. Jh. … vieroktavige Klaviatur mit schwarzen Tasten aus Ebenholz, abgenutzt, und weißen aus Elfenbein«) einen der Corots. Er wartete, bis das Glas wieder gefüllt war, und machte sich dann, erleichtert am Champagner nippend, zu dem Corot auf, wobei seine linke Hand unwillkürlich zur Brusttasche hochzuckte, in der seine Brille steckte.
Bevor er sich jedoch dem Bild widmen konnte, fiel sein Blick auf eine einzelne Schwarzweißfotografie, die in einem silbernen Rahmen auf dem Spinett stand. Das Foto zeigte Kopf und Schultern eines jungen Mannes von erstaunlicher Schönheit. Er lächelte in die
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