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Der unausweichliche Tag - Roman

Der unausweichliche Tag - Roman

Titel: Der unausweichliche Tag - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Altersheim suchen sollte. Dann könnte er die Leute dafür bezahlen, dass sie sich um ihn kümmerten. Gab es solche Einrichtungen, in die man nur hineinzuspazieren brauchte, um bei der Hand genommen und in ein kleines, aber sauberes Zimmer geführt zu werden? Die Leute behaupteten, dass es in der modernen Welt alles gebe, auch die Dinge, die man sich nur ausdenkt, solange man dafür bezahlte. Dann gab es sie vielleicht auch? Diese Zufluchtsorte.

E s war die Zeit des Olivenbaumschnitts – kurz vor dem richtigen Sommer.
    Veronica und Kitty hatten in Ruasse ein Seminar besucht, wo ihnen die Methode des richtigen Schnitts genau erklärt wurde. Man schnitt die neuen Triebe nur jedes zweite Jahr zurück, und dann tat man es so, dass der Baum genügend Luft hatte. Sie sagten, man solle dabei immer an einen imaginären Vogel denken, der ungebremst in den Baum hinein- und an der anderen Seite wieder herausfliegen können musste.
    Im Olivenhain von Les Glaniques standen mehr als zwanzig Bäume, weshalb Anthony sich bereit erklärt hatte, beim Beschneiden zu helfen. Er liebte eintönige Arbeiten. Sie beruhigten sein Gemüt. Und die Schere in seiner Hand erinnerte ihn an die Zeit, als er mit Lal Rosen beschnitten hatte: an das helle Geräusch des Schneidens, die tröstliche Vorstellung, dass man der Pflanze dabei half, kräftig zu werden, und an die überraschend warme Frühlingssonne im Gesicht … Und deshalb machte ihn diese Arbeit glücklich. Kitty war hinreichend weit weg, Veronica in Rufnähe. Und der Himmel war wolkenlos.
    Der lebhafte Vogelgesang erinnerte Anthony ebenfalls an Lals Garten: an die Zeiten, als die Misteldrossel noch ein vertrauter Anblick war und als man noch hören konnte, wie Gimpel mit ihrer scharlachfarbenen Brust in den Hecken keckerten, Spechte – diese passionierten Heimwerker – auf die Baumstämme des Obstgartens einhämmerten und Fasanen im Unterholz kreischten.
    Und ihm kam der Gedanke, dass es noch einen weiteren Grund gab, England zu verlassen: In dem Maße, wie sich dort Menschen und Eigentum vermehrten, zog die Natur ihren Reichtum zurück. Als sei sie es leid, dass der Mensch all ihre Vielfalt und Komplexität derart ignorierte, schien sie beschlossenzu haben, sich nur noch mit den wenigen langweiligen Arten auszustatten, die auch wirklich jeder kannte. Und in fünfzig Jahren gäbe es dann nur noch Amseln und Möwen, Brennnesseln und Gras.
    Die prächtigen Olivenzweige türmten sich auf dem Boden. Frankreich zu lieben würde einfach sein, dachte Anthony, während er auf den Haufen zu seinen Füßen blickte.
     
    Sein Handy klingelte, und es war Madame Besson, die ihm mitteilte, sie habe noch ein Haus für ihn in der Nähe von Ruasse. Es sei gerade erst auf den Markt gekommen.
    Anthony hörte sich einen deutlichen Seufzer ausstoßen. Er wusste, dass er so kurz nach der Besichtigung von Mas Lunel keine neuerliche Enttäuschung ertragen konnte. Dass etwas Schönes so nah und dann doch so fern gewesen war, hatte ihn regelrecht erzürnt.
    Er fragte Madame Besson, ob dieses Haus denn allein liege – wirklich ganz allein –, ohne irgendetwas, das die Aussicht verdarb, und sie sagte: Ja, es stehe oben auf einem Hügel, habe eine eigene Auffahrt und eine eigene Straße, die nur zum Haus führe und nirgendwohin sonst. »Einsam«, sagte sie. »Sehr einsam. Aber das ist es doch, was Sie sich wünschen, Monsieur Verey, n’est-ce pas ?«
    »Ja«, sagte er. »Ich glaube schon. Ist es aus Stein? Ist es schön?«
    Es folgte eine kurze Pause, und Anthony merkte, dass Madame Besson, den Telefonhörer mit der Hand abdeckte. Dann war sie wieder da und sagte: »Ich selbst habe es noch nicht gesehen. Meine Tochter war dort, um sich zu informieren. Sie sagt, es sei recht nett.«
    Recht nett .
    Wenn das alles war, dann interessierte es ihn nicht. »Recht nett« war nicht das, was Anthony sich unter seiner Zukunft vorstellte. Lieber gar keine Zukunft als solch eine. Allmählich hatteer genug von diesen Immobilienmaklern. Sie begriffen einfach nicht, wer er war – der Anthony Verey, der einen Horror vor hässlichen Umgebungen hatte –, und deshalb verschwendeten sie ihre Zeit.
    Und dennoch. Er musste seine Suche fortsetzen. Er musste ihn finden, den Ort, wo er leben und glücklich sein konnte. Anthony erklärte Madame Besson, er werde am Freitag vorbeikommen, die Schlüssel abholen und sich den Weg beschreiben lassen. Er sagte, er würde dieses Haus gern allein besichtigen.
    »Wie Sie wünschen, Monsieur

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