Der unausweichliche Tag - Roman
die Vorstellung, wie die beiden ihr arrogantes Urteil hinter Mitleid und traurigem Lächeln verbergen würden, hätte sie nicht ertragen. »Tut mir leid, Kitty Chérie, aber ich fürchte, wir wussten einfach, dass eine Galerie mit einem derartigen Renommee deine Arbeiten eben doch nicht nehmen würde …«
Da war es besser, ordentlich mit Alkohol abgefüllt in einem unpersönlichen Hotelzimmer zu liegen, als diesen Abend der Demütigung in der Gesellschaft der beiden zu verbringen. Zwar hätte Kitty sich auch gern von Veronica trösten lassen, aber der Gedanke, sich bei der Rückkehr nach Les Glaniques Anthonys unverhohlener Freude über ihren Misserfolg ausgesetzt zu sehen, war ihr unerträglich.
Überhaupt mochte Kitty noch ganz und gar nicht darüber nachdenken, wie sie diese Rückkehr durchstehen sollte. Seit Anthonys Ankunft hatte sie das Gefühl, als würde ihr jegliche Freude an dem Haus, das sie doch eigentlich mit ihrer Liebsten teilte, gründlich ausgetrieben. Sie hatte Zuflucht in ihrem Atelier gesucht – fernab von Veronica und ihrem Bruder. Dort warsie am glücklichsten, allein mit ihrer Arbeit und ihren Träumen. Doch jetzt standen ihr Höllenqualen bevor. Zum einen würde sie Anthonys verachtungsvollen Blicken ausgesetzt sein, aber noch furchtbarer war etwas anderes: Sie musste der Tatsache ins Auge blicken, dass die Arbeit, die ihr so lieb war und der sie sich so sehr verschrieben hatte, nach dem Urteil kompetenter Kritiker nichts taugte.
Gut, es war ihr hin und wieder gelungen, an kleinere Galerien und Läden zu verkaufen, aber jetzt hatte eine hoch seriöse Institution die Aquarelle in Augenschein genommen und war wie ein herzloser Tiger über sie hergefallen: Es tut mir leid, Madame Meadows … im Internet erschienen uns die Fotos Ihrer Arbeiten durchaus recht interessant, aber nun, da wir die Originale sehen … Ihr Gefühl für Farbe hat einen gewissen Charme, aber es gibt doch einige technische Unzulänglichkeiten. Und voilà, deshalb glaube ich einfach nicht, dass wir hier bei uns etwas verkaufen könnten …
Kitty lag da, bedeckte ihre Augen gegen das nervige Apothekengeblinke und tröstete sich mit dem Gedanken, dass sie immerhin ihre Arbeit für Gärtnern ohne Regen fortsetzen und sowohl Aquarelle wie Fotos beisteuern könnte. Und wenn das Buch dann erschien, fände ja vielleicht jemand ihre Illustrationen gar nicht so übel.
Doch wie glühend – wie verzweifelt – hatte sie sich danach gesehnt, von einer angesehenen Galerie vertreten zu werden! Wie oft hatte sie sich das Faltblatt ausgemalt, das die Galerie drucken würde: NEUE AQUARELLE von Kitty Meadows. Und dann der fantastische Vernissage-Abend … wenn die Anzahl der Bilder mit den roten »Verkauft«-Aufklebern wuchs und wuchs … wenn Veronica stolz lächelte … und dann das herrliche Geld auf der Bank …
Kittys Handy klingelte: Veronicas Name erschien auf dem Display. Kitty sah auf die Uhr. Es war fast ein Uhr nachts.
»Veronica«, sagte Kitty leise.
»Tut mir leid, dass es so spät ist. Hast du geschlafen?«
»Nein«, sagte Kitty. »Ging nicht.«
»Also gut, hör zu, Liebes, etwas stimmt hier ganz und gar nicht.«
Kitty richtete sich auf, froh darüber, dass sie abgelenkt wurde, froh, dass es noch eine Welt jenseits ihres Elends gab.
»Erzähl …«, sagte sie.
Sie hörte, wie Veronica an einer Zigarette zog.
»Es geht um Anthony«, sagte sie und hustete beim Ausatmen. »Er sagte, er würde zum Abendessen zurück sein. Ich habe ihn heute Morgen sogar gefragt, was er essen möchte, er sagte Kalbsleber, und ich habe welche in der boucherie besorgt. Er sagte, er wäre auf jeden Fall rechtzeitig zurück. Aber er ist nicht nach Hause gekommen, Kitty, und es ist ein Uhr morgens.«
Kitty hielt das Telefon dicht ans Ohr. Einen Moment lang konnte sie nicht sprechen, so aufregend fand sie diese Worte. In ihrem Kopf lief ein Film ab.
Sie sah eine kurvige Straße hoch über La Callune, und sie sah Anthonys Mietwagen, der zu schnell in eine Haarnadelkurve sauste, sich um sich selbst drehte und dann ins Leere schoss, in die Tiefe stürzte und unten auf den Felsen zerschellte …
»Gut«, sagte sie und zwang sich zu einem besorgten Ton. »Hast du versucht, ihn auf dem Handy anzurufen?«
»Ja. Nichts. Absolut keine Reaktion.«
»Keine Mailbox?«
»Überhaupt kein Ton. Und die Frau vom Maklerbüro rief an und sagte, Anthony hat die Schlüssel von dem Haus nicht zurückgebracht.«
»Gut … also, wir müssen überlegen, was
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