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Der unausweichliche Tag - Roman

Der unausweichliche Tag - Roman

Titel: Der unausweichliche Tag - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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der Suche nach einem älteren englischen Touristen nicht sonderlich engagieren. Vielleicht tatVeronica ja doch Recht daran, sich selbst auf die Suche zu machen.
    Und nun ging ihr mit einem Mal auf, dass Veronica in die falsche Richtung gefahren war. Vielleicht hatte nur sie, Kitty Meadows, begriffen, dass Anthony längst ein Haus gefunden hatte, ein Haus, das er liebte: das Mas Lunel. Bevor sie ihn auf die hässliche Kate hinwies, hatte er sich, völlig hingerissen, schon als Besitzer gesehen. Das hatte sie genau beobachtet, hatte es gespürt, während er da oben am Fenster im ersten Stock die Aussicht bewunderte. Er hatte sich im Geiste schon im Haus eingerichtet, als Herr des Grundstücks gefühlt. Und dann hatte sie ihm absichtlich alles verdorben. Hatte erfreut registriert, wie seine Miene sich verfinsterte, Enttäuschung verriet.
    Aber er war ja kein Dummkopf. Bestimmt hatte er darüber nachgedacht, wie sich die Kate aus dem Blickfeld entfernen ließe. Hatte vielleicht sogar ihre möglichen Vorteile entdeckt und sich gesagt, dass die Frau, die dort lebte, womöglich für ihn arbeiten und in seiner Abwesenheit nach dem Haus sehen könnte. Und falls das zutraf, wäre er dorthin gefahren, um noch einmal das Mas anzuschauen …
    Es war brütend heiße Mittagszeit. Das Zikadenorchester hatte seinen disharmonischen Höhepunkt erreicht, und die Bienen bedrängten den Lavendel. Kitty fand, sie sollte sich wirklich erst noch einmal schlafen legen, das Ende der Hitze abwarten, so lange warten, bis sie in der relativen Abendkühle wieder klar denken konnte. Doch bei der Vorstellung, sie müsste jetzt passiv warten, bis Veronica zu ihr zurückzukehren geruhte, wurde sie ärgerlich und auch traurig. Es wäre besser, entschied sie, nicht da zu sein, wenn Veronica nach Hause kam. Es wäre besser, ins Auto zu steigen und sich an die Erledigung ihres Auftrags zu machen: Kitty Meadows, Privatdetektivin.
     
    Kittys Anhänglichkeit an ihren kleinen Citroën – als Fahrzeug genau das Richtige für ihren kurzen Körper und ihre bescheidenenAnsprüche, wie sie fand – war bei heißem Wetter allerdings nicht sonderlich ausgeprägt. Der Wagen hatte keine Klimaanlage. Deshalb versuchte Kitty, die stickige Luft mit einer Brise aus den offenen Fenstern und der betörenden Stimme von k.d. lang zu bekämpfen, die sie zum Glück dem staubigen Kassettenrekorder des Citroën entlocken konnte.
     
    … If I’m alone in this,
    I don’t think I can take,
    The consequence of falling …
     
    Kitty sang laut mit. Diese Musik, diese harte, sexy Stimme, trug sie beschwingt bis nach Ruasse. Dann stellte sie die Musik ab. In Ruasse angekommen, war sie sich nicht mehr sicher, wie es von dort weiter nach La Callune ging, und deshalb brauchte sie Ruhe, um ihrer Erinnerung aufzuhelfen. Als die Straße, die aus dem Ort hinausführte, zu steigen begann und Kitty in die Gebirgslandschaft der Cevennen eintauchte, packte sie wieder die Erregung: Womöglich war Anthony Verey tot. Hier irgendwo zwischen Fels und Abgrund, in diesen undurchdringlichen Wäldern, konnte seine Leiche gut monatelang – oder jahrelang – unentdeckt bleiben. Sie malte sich aus, wie er kopfüber in einer Felswand hing, die schlanken Fesseln in den Socken aus Seide und Kaschmir für immer in ein Wurzelgeflecht verhakt, das Haar vom Regen zu hängenden Strähnen gekämmt, die ganze Gestalt in Schnee gehüllt. Sie malte sich all die Tiere aus, die an seinem Fleisch nagen, es verdauen und ausscheiden würden: Anthony Verey, in Kot verwandelt.
    Sie wusste, dass sie auf der richtigen Straße war, als sie an dem Sandwich-Imbiss La Bonne Baguette vorbeikam. Also fuhr sie jetzt langsamer, um die Abzweigung zum Dorf La Callune nicht zu verpassen.
     
    Der ungepflegte Zufahrtsweg zum Mas Lunel lag noch etwas weiter oberhalb des Dorfs, und Kitty fand ihn ohne Schwierigkeiten. Links lag, genau wie sie es in Erinnerung hatte, die Kate. Sie drosselte ihre Geschwindigkeit und überlegte, ob sie es wagen sollte, mit Lunels Schwester zu sprechen. Aber die Kate wirkte verschlossen und verrammelt, also fuhr sie weiter.
    Jetzt kam das hübsche, gelbgestrichene Mas in Sicht. Kitty fuhr den Citroën an eine schattige Stelle und hielt. Regungslos blieb sie im Wagen sitzen, schaute und horchte. Die Fensterläden waren geschlossen, aber es war jemand zu Hause – Monsieur Lunel persönlich? –, denn Kitty konnte die Hunde in ihrem Zwinger bellen hören, und neben der Haustür stand ein alter brauner Renault

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