Der unausweichliche Tag - Roman
alles, und ich werde es auch sein, die Anthony findet.
»Lloyd«, sagte sie, »es hat wirklich keinen Zweck, mir Fragen zu stellen. Ich tappe absolut im Dunkeln. Anthony ist Dienstagmorgen mit dem Wagen von hier losgefahren, um ein Haus zu besichtigen. Ich habe ihm in einer Kühltasche Wasser mitgegeben. Das ist das Einzige, was ich Ihnen sicher sagen kann.«
»Er war doch noch nie ein guter Fahrer, oder?«, sagte Lloyd. »Er hat sich am Steuer dauernd zum Beifahrer gedreht.«
Beifahrer.
Bei diesem Wort zündete Veronicas erschöpfter Verstand. War es möglich, dass Anthony angehalten hatte, um einen Tramper mitzunehmen oder jemandem zu helfen, der aussah, als wäre er auf einer einsamen Straße liegengeblieben? Und war er dann ausgeraubt und um sein Portemonnaie, sein Handy, vielleicht sogar das Auto erleichtert worden? Denn bei all seiner Vornehmheit – dem schönen Schein , den er über die Jahre kultiviert hatte – umgab Anthony eine Aura verletzlicher Schwäche, die durch die Fassade schien und von Fremden sofort wahrgenommen wurde.
»Nein, er war kein guter Fahrer«, erwiderte Veronica. »Oder, genauer gesagt, nein, er ist kein guter Fahrer. Wir können doch jetzt nicht anfangen, in der Vergangenheitsform über ihn zu reden.«
»O Gott, tut mir leid, natürlich nicht!«, sagte Lloyd. »So habe ich das nicht gemeint.«
Veronica ließ ein Bad ein, legte sich ins Wasser und beobachtete eine Spinne, die in einer Ecke der Badezimmerdecke ihr Netz vervollkommnete.
Verifizierung und Abstinenz . In diesen Worten schien eine gewisse angemessene Entschlossenheit zu liegen. Gedanklich bereitete Veronica sich auf ihre Fahrt vor, erst nach Ruasse und dann weiter. Sie wartete nur noch darauf, dass Madame Bessons Büro um 9.00 Uhr öffnete.
Sie hörte Kitty zur Badezimmertür kommen, aber Veronica hatte abgeschlossen. Kitty rief leise: »Ich habe Tee für dich, Liebes.«
Alles, was man ihr anbot oder vorschlug, sorgfältig überdenken und mit der Antwort warten.
Als sie keine Antwort bekam, klopfte Kitty an die Tür. »Ich habe eine Tasse Tee für dich.«
»Ja«, sagte Kitty. »Aber ich möchte keinen.«
Sie hörte, wie Kitty wartete, zögerte. Dann wegging.
Veronica war erleichtert. Und erst jetzt, in diesem Moment, konzentrierte sie sich noch einmal auf das, was Kitty gestern in Béziers widerfahren war. Veronica fragte sich, wie sie eigentlich darüber dachte, über diese Ablehnung der Galerie.
Und sie konstatierte, dass sie nicht überrascht war. Dieses Eingeständnis kam ihr schrecklich vor – fast wie Verrat –, aber Kittys Talent war tatsächlich so schmal, fast nicht vorhanden, dass es womöglich besser gewesen wäre, sie hätte überhaupt kein Talent.
Wenn es gar nicht existieren würde, hätte Kitty sich nicht unrealistischen Hoffnungen hingegeben, und jener Teil in ihr, der sich unermüdlich sehnte und niemals aufgab, hätte aufgegeben und sich still verhalten – und sie, Veronica, wäre der erschöpfenden Pflicht enthoben, Kittys falsche Hoffnungen zu nähren. Denn schließlich lief es darauf hinaus: All das Lob, mit dem sie Kittys Aquarelle überhäufte, war nichts als die unehrliche Bestärkung einer Lüge.
Und das machte müde. Das sah sie jetzt deutlich. Kittys unrealistische Träume waren aufreibend. Sie verschlangen zu viel kostbare Zeit.
Kitty bestand darauf, Frühstück für sie zu machen: Croissant, Kaffee und Melone.
Nach dem Essen fühlte sie sich etwas weniger müde, aber als Kitty zu ihr kam und sie umarmte, stieß sie sie sanft weg. Und als Kitty sagte, sie werde mit nach Ruasse kommen, stand Veronica auf und sagte: »Nein.«
»Doch«, sagte Kitty. »Ich lasse dich nicht alleine fahren.«
»Nun«, sagte Veronica kühl, »ich muss dich nicht um Erlaubnis bitten.«
Dann suchte sie ihre Sachen zusammen und ging zum Wagen, und Kitty folgte ihr, aber Veronica drehte sich nicht um und verabschiedete sich auch nicht, sie stieg einfach ins Auto und fuhr weg. Sie merkte, dass sie beim Starten von zwei Presseleuten fotografiert wurde, die auf der Straße gewartet hatten, aber sie blickte demonstrativ an ihnen vorbei.
Unterwegs war sie, wie immer, hingerissen von der Schönheit der Straße nach Ruasse: von den schimmernden Platanen, deren Schatten Muster in den Asphalt zeichneten, und den Sonnenblumen, die sie an gelbe, sich im Wind wiegende Puppen erinnerten. Sie beschloss, so bald wie möglich das Kapitel über »Dekorative Kiessorten« abzuschließen, damit sie endlich
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