Der unausweichliche Tag - Roman
dabei nach draußen.
Ein unbekanntes Paar mittleren Alters stieg aus und musterte die Umgebung. Dann näherte sich der Mann ihrer Haustür, während die Frau noch zögerte, als sei sie verlegen oder ängstlich.
Audrun spülte sich die Hände ab, zog ihre geblümte Kittelschürze aus, strich ihren Rock glatt und ging sehr ruhig an die Tür, und der Mann starrte sie an; er wirkte erregt.
»Was kann ich für Sie tun, Monsieur?«, fragte sie.
Er war Ausländer. Er sprach zwar Französisch, aber mit irgendeinem scheußlichen Akzent. Er habe von einem Maklerbüro in Ruasse gehört, erklärte er, dass hinter La Callune ein Mas zum Verkauf stehe – das Mas Lunel –, aber die Maklerinnen hätten ihn nicht hierherfahren wollen, weil der Verkäuferoffenbar seine Meinung geändert hatte, weshalb er und seine Frau beschlossen hätten, einfach vorbeizukommen und selbst zu schauen … es könnte ja sein …
Audrun starrte den Fremden an. Irgendetwas an dem Mann, eine mutlose Ergebenheit in seinen Augen, erinnerte sie an Verey.
Sie lächelte ihn an. »Das Mas Lunel gehört mir«, sagte sie.
»Oh«, sagte der Mann. »Man sagte uns, es handele sich um einen Monsieur …«
»Mein Bruder«, erklärte Audrun. »Er ist für die Landarbeit zuständig. Mir ist es sehr recht, wenn er oben im Haus wohnt. Ich bevorzuge mein kleines, modernes Haus, wie Sie sehen.«
»Ah ja, ich verstehe. Aber ist das Mas noch zu kaufen? Uns gefallen seine Proportionen, die Aussicht … Wir heißen Wilson. Das ist meine Frau …«
Die schüchterne Frau machte einen Schritt nach vorn, reichte ihr die Hand, und Audrun nahm sie. Dann sagte sie betont liebenswürdig: »Meine Situation hat sich geändert. So etwas passiert ja manchmal im Leben, n’est-ce pas ? Und deshalb habe ich mich entschlossen, nun doch nicht zu verkaufen. Das Haus ist seit drei Generationen im Besitz meiner Familie. Und ich werde es jetzt restaurieren lassen. Vielleicht werde ich dort ja meinen Lebensabend verbringen. Wer weiß.«
Die Wilsons wirkten niedergeschlagen. Sie fragten, ob irgendetwas Audruns Entschluss ändern könne.
»Nein«, sagte sie. »Andere Dinge haben sich geändert, aber mein Entschluss wird sich nicht ändern.«
Beide drehten sich um und blickten sehnsüchtig auf das Mas, und in ihren Augen erkannte Audrun den Willen, es zu besitzen. Sie sähen sich schon eine ganze Weile in diesem Teil Frankreichs nach Häusern um, sagten sie, und morgen würden sie nach England zurückkehren …
Audrun sann über die Durchschnittlichkeit der Wilsons nach. Sie fragte sich, wie diese farblosen, schweigsamen Menschenso viel Geld verdient haben konnten, um in den Cevennen anzutanzen und sich ein zweites Haus anzuschaffen. Und sie dachte: Ich weiß eben nicht, wie man an Geld kommt. Das habe ich noch nie gewusst. Alles, was Bernadette besaß, war das, was auf den Terrassen wuchs oder was wir gegen selbst geerntetes Obst und Gemüse eintauschen konnten; alles, was ich damals besaß, war das, was ich in der Unterwäschefabrik verdiente, und alles, was ich jetzt besitze, ist meine kleine Pension vom Staat – und das, was in meinem potager wächst.
»Es tut mir leid«, sagte sie. »Nichts steht hier zum Verkauf.«
Die Wilsons fuhren weg. Sobald sie fort waren, sah Audrun Aramon die Auffahrt herunterhumpeln. Mit seiner Hose, die in der Taille mit einer Kordel zusammengebunden war, und den zerzausten, schmutzigen Haaren sah er aus wie eine Vogelscheuche.
»Wer waren diese Leute?«, fragte er. »Was wollten sie?«
Audrun sah ihm nicht ins Gesicht. Sie wusste, dass sie ihn mit der Behauptung, es habe sich um Freunde von Verey gehandelt, zum Schwitzen bringen könnte, doch in diesem Moment erschien Marianne Viala an Audruns Gartentor.
Marianne küsste Audrun. Dann wandte sie sich an Aramon: »Du siehst nicht gut aus, mon ami .«
»Mir geht es auch nicht gut«, sagte er. »Irgendetwas vergiftet mich. Vielleicht muss ich ja ins Krankenhaus.«
» Das solltest du «, sagte Marianne. »Und du solltest nicht trinken, Aramon, wenn dein Magen nicht in Ordnung ist …«
»Wer waren diese Leute?«, brüllte Aramon jetzt. »Sag mir sofort, wer das war.«
»Ausländer«, sagte Audrun. »Sie wollten nur nach dem Weg fragen.«
»Nach dem Weg wohin?«
»Nach Ruasse.«
»Ruasse? Das Auto stand doch in der falschen Richtung.«
»Ja«, sagte Audrun. »Ich habe sie auf die richtige Straße geschickt.«
Sein Körper war ganz verkrampft vor Angst. Weißer Schaum saß in seinem
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