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Der unausweichliche Tag - Roman

Der unausweichliche Tag - Roman

Titel: Der unausweichliche Tag - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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aus und hatte einen Autoschlüssel in der Hand.
     
    Die Dinge, die nun zu tun waren … sie machten Aramon ganz schwach vor Entsetzen.
    Er kniete im Zwinger, den Schlüssel in der Hand, roch das saubere Stroh und wünschte, er wäre ein Hund und führte ein unkompliziertes, schuldloses Leben. Aus seiner kranken Lunge kam ein gequälter, klagender, fast unmenschlicher Laut.
    Er ließ alles stehen und liegen – ließ die Arbeit unbeendet, den Trog ungefüllt, das Tor des Zwingers weit offen, die Hunde frei zwischen den Eichen nach Wildschweinen schnüffeln.
    Er blickte zu Audruns Kate hinüber. Er konnte seine eigene Wäsche an ihrer Leine erkennen. Alles dort unten lag noch reglos im Schatten, kein Wind wehte. Er hatte Angst, Audrun könnte dort stehen und ihn beobachten. Und er dachte, wenn ich das, was ich zu tun habe, aufschiebe, wird sie kommen undsehen, was sich in dem Auto befindet, und dann ist alles verloren.
    Hinkend und unsicher schwankend lief er zur Scheune, fast als versuchte er, seinem eigenen Schatten auszuweichen. Er hielt den Schlüssel so fest umklammert, dass er ihm in die Hand schnitt.
    Langsam drückte er das Scheunentor auf und ging hinein, und es war kalt in der Scheune, und der Schweiß auf seiner Haut schien zu Eis geworden. Er starrte auf das mit Sackleinen bedeckte Auto, auf dem sich Paletten und Kisten türmten. Er war unfähig, sich zu bewegen.
    Angenommen, sie war wirklich da drin, die Leiche von Anthony Verey, und verweste in dem gemieteten Wagen?
    Aramon hätte sich gern irgendwo festgehalten. Wünschte sich beinah, er könnte sterben, einfach hier auf den Boden der Scheune sinken und aufhören zu sein. Weil dieses Etwas in sein Leben getreten war und es verdorben hatte. Es besaß keinen Namen. Es existierte kein Wort, mit dem er es hätte benennen können, weil er nicht wusste, was er getan hatte.
    Um sich zu dem Auto zu wagen, musste er sich vorstellen, dass Serge hinter ihm stand, Serge, der ihn mit seinem Gürtel vorwärtsprügelte.
    Los, geh weiter, Junge. Geh weiter und öffne die Tür …
    Er drückte die Entriegelungstaste des Schlüssels. Im Wagen sprang das Licht an.
    Jetzt wirst du sehen, was dich erwartet, was dich in der Dunkelheit erwartet …
    Mit einer einzigen Bewegung streckte er die Hand aus, packte den Griff und zog an der Tür, wobei eine leere Apfelkiste ins Rutschen kam und neben ihm auf den Boden krachte.
    Sofort sprang er ihn an, der faulige Gestank im Auto, und er schrie laut auf und schlug die Tür wieder zu.
    Er stand da mit geschlossenen Augen und atmete so schnell und angestrengt, dass ihm die Brust vor Schmerzen brannte. Erflüsterte seinem toten Vater zu: »Schaff das weg. Bitte schaff es weg …«
    Dann hörte er etwas am Scheunentor: ein Toben und Winseln.
    Und da wusste er, dass die Hunde seinem Geruch gefolgt waren und ihn aufgespürt hatten. Und da kam ihm eine Idee: Lass die Hunde es finden. Lass die verhungerten Hunde sich darauf stürzen, es zerfleischen und auffressen … und dann ist es weg, und ich muss es nicht mehr sehen …
    Mit dem Rücken zum Wagen öffnete Aramon erneut die Tür, öffnete sie ganz weit und rief die Hunde, und sie antworteten mit einem Winseln.
    Er schlurfte, so schnell er konnte, zum Tor, öffnete es von innen, und sie kamen in die Scheune gesprungen, drei Hunde, und krallten sich an ihn, und er stieß sie zum Auto, wohl wissend, dass es der Geruchssinn war, der all ihre Handlungen antrieb, und dass sie sofort auf diesen Gestank losgehen und mit dem beginnen würden, was ihr Hundehirn ihnen befahl.
    Er ging zum offenen Tor zurück und füllte sich die Lunge mit frischer Luft. Er hörte, wie die Hunde mit den Krallen an der Karosserie kratzten und davon abrutschten. Einer begann zu bellen. Dann waren alle still, und er wusste, dass sie dem Geruch gefolgt und jetzt im Auto waren, und er wartete, dass der Wahnsinn begann.
    Die Zeit schien sich zu dehnen und Aramon zu foppen. Draußen erwachten Bienen und Zikaden, von der Sonne gewärmt, zum Leben. Ein Bussard zog seine Kreise am blauen Himmel. Das ist die Welt, die wirkliche Welt, dachte Aramon sehnsüchtig, und das schwarze Auto gehört nicht dazu, es ist nur Teil eines dunklen Albtraums, den ich nicht verstehen kann.
     
    Er saß in der Küche und stürzte den Pastis hinunter.
    Es hatte keine Leiche im Wagen gegeben.
    Der Gestank aus dem Inneren des Wagens stammte von einem halb gegessenen und inzwischen vergammelten Camembert-Sandwich mit Tomate, das selbst die Hunde

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