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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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er sagte nichts.
    In der Kantine stand vor dem Fenster der Essensausgabe bereits eine Schlange.
    Als sie sich sattgegessen hatten, machten sich der Volkskontrolleur und Waplachow zu den Mantelwerkstätten auf, die im Schulgebäude untergebracht waren.
    Die Sonne sengte mit aller Kraft. Das Gras, das das nächtliche Gewitter zur Erde gedrückt hatte, richtete sich wieder auf. Spatzen zwitscherten, und magere Tauben, die auf Hausdächern saßen, gurrten etwas vor sich hin.
    In dem Raum, den man den Kontrolleuren zugewiesen hatte, war es feucht und kühl, daher öffnete Dobrynin als Erstes beide Fenster weit und ließ die Sonnenstrahlen herein. Waplachow ging unterdessen, um die fertige Produktion zu holen. Als er zurückkam, warf er zwei Bündel mit Uniformmänteln auf den Holzboden, die in der vergangenen Nacht genäht worden waren.
    „Gibt es noch viele dort?“, fragte Dobrynin.
    „Fünf von solchen.“
    „Was hilft es“, seufzte Dobrynin. „Los, an die Arbeit.“
    Dmitrij zog aus einem Schränkchen unter dem Fenster ein paar Scheren und Messer heraus, nahm einen Schleifstein vom Fensterbrett und schliff ihr Werkzeug nach.
    Pawel band das erste Bündel auf. Er entrollte den obersten Mantel und untersuchte ihn aufmerksam, danach zog er ihn an und versuchte die Hände in die Taschen zu stecken. Da nahm sein Gesicht den gewöhnlichen Arbeitsausdruck an – einen Ausdruck der Unzufriedenheit. Die rechte Tasche war zugenäht. Dobrynin zog den Mantel aus, übergab ihn Dmitrij und äußerte knapp: „Rechts!“
    Waplachow hielt bereits die Schere in der Hand. Er hatte sich auf einen Hocker gesetzt und begann die Naht aufzutrennen, während Pawel schon den zweiten Mantel untersuchte.
    „Das ist keine Ausschussware“, sagte Dmitrij plötzlich. „Schau!“
    Dobrynin hob den Kopf und erblickte ein Päckchen Papirossi-Zigaretten in den Händen seines Gehilfen.
    „Hier ist auch noch ein kleiner Brief“, ergänzte Wapla-chow.
    „Was steht da?“
    „‚Dem unbekannten Helden von Tanja Seliwanowa‘“, las Waplachow vor.
    „Leg das alles auf das Schränkchen, darum kümmern wir uns später“, verfügte der Volkskontrolleur und schob seine Hände in die Ärmel des zweiten Mantels.
    Bis zum Mittagessen hatten sie drei Bündel Mäntel kontrolliert, zehn Stück pro Bündel. Vier Mäntel waren Ausschuss und lagen in der hinteren Ecke. Auf dem Schränkchen prangten ein paar Päckchen Papirossi, gleich daneben lagen die Begleitbriefchen.
    Zum Mittagessen gab es dicke Kohlsuppe und Perlgraupenbrei.
    Dobrynin hatte in kurzer Zeit alles aufgegessen und schlürfte nun ohne Hast ein wenig von der sehr flüssigen Roten Grütze, wobei er die Mittag essenden Arbeiterinnen der Mantelwerkstätten betrachtete.
    Waplachow aß langsam und sah seinen Genossen und Chef aufmerksam an. Als er mit der Kohlsuppe fertig war, sagte er: „Ich glaube, dass sie nicht hier ist.“
    „Warum?“, fragte Dobrynin verwundert.
    „Wenn sie heute Nacht gearbeitet hat, dann schläft sie jetzt.“
    „Ja.“ Dobrynin nickte. „Wahrhaftig. Wie hast du denn er­raten, dass ich gerade an sie gedacht habe?“
    Der Urku-Jemze lächelte.
    „Wir sind ein kluges Volk“, sagte er, und ein eigensinniger Stolz leuchtete plötzlich in seinem Blick.
    „Das mag schon so sein“, dämpfte ihn Dobrynin. „Aber wo wärst du denn jetzt, wenn ich dich nicht im Tausch für ein paar Lebensmittel gerettet hätte?“
    Waplachow senkte den Kopf, jede Fröhlichkeit und jeder Stolz waren aus seinem Gesicht verschwunden.
    „Schon gut“, sagte Dobrynin und trank seine Rote Grütze auf einen Schluck aus. „Denn ich, weißt du, würde ja ohne dich auch längst nutzlos im nördlichen Eis stecken. Aber so sind wir beide am Leben … und wir sind zusammen …“
    Der Urku-Jemze nickte, und ein verlegenes Lächeln kehrte auf sein Gesicht zurück.
    „Was wirst du denn zu ihr sagen?“, fragte er den Volkskontrolleur.
    Dobrynin dachte nach.
    „Schimpfen darf man nicht mit ihr“, überlegte er laut. „Sie macht es doch für den Sieg … Aber sie soll wenigstens die Taschen nicht zunähen … Obwohl, wenn sie sie nicht zunäht, nehmen sich die Diebe in der Materialverwaltung die Zigaretten, und das bedeutet, sie gelangen nicht zu ihrer Bestimmung, dem unbekannten Helden … Tja …“
    „Schwierig?“, fragte Waplachow.
    „Schwierig …“
    Nach dem Essen gingen sie aufs Neue ihrer Arbeit nach. Dobrynin untersuchte und bestimmte, und Waplachow trennte unnütze, überflüssige

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