Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
Vom Netzwerk:
mit dir sprechen, Tanja …“
    „Sie haben wirklich nichts gesagt?“ Tanja hob den Blick zu Dobrynin. „Auch die Sasonowa weiß nichts?“
    „Niemand weiß etwas“, fügte Waplachow ein.
    „Und vielleicht wird niemand je etwas erfahren“, ergänzte Dobrynin. „Aber dafür musst du aufhören, Taschen zuzunähen.“
    Die junge Frau wurde traurig.
    „Tanja“, sprach Dobrynin sanft. „Wir schicken die Papirossi mit der Post, und die Briefchen kannst du einfach in die Taschen legen, die nimmt niemand heraus …“
    „Wirklich?“, fragte Tanja und blickte Waplachow an.
    Waplachow nickte.
    „Aber an wen soll ich die Zigaretten schicken, man muss doch eine Adresse schreiben …“, bemerkte sie nachdenklich.
    „Oh, das ist nicht schwierig“, entgegnete Dobrynin lächelnd. „Man packt ein Paket und schreibt darauf: ‚Feldpost, Front, für den besten Soldaten‘, und dort wissen sie schon, wer bei ihnen der beste Soldat ist.“
    „Ja, aber dann bekommt einer allein alle Zigaretten?“, bemerkte Tanja.
    „Ja, aber wenn jede junge Frau es so macht wie du“, sagte da Waplachow, „dann haben alle Helden an der Front etwas zu rauchen!“
    „Du könntest auch auf das Paket deinen Absender schreiben, vielleicht schreibt dieser Soldat dir dann von der Front …“, ergänzte Dobrynin.
    Niemals zuvor hatte Tanja Seliwanowa sich so wohl gefühlt wie an diesem Abend, als sie am Tisch mit zwei beinahe unbekannten Genossen saß, die sie mit Tee und Zucker bewirteten. Niemals zuvor war sie so froh im Herzen gewesen, weil sie die eigene Bedeutung im Leben ihres Landes erkannte! Sie trank Tee, sie lächelte und lachte, als ihr der sympathische grauhaarige Mann von einem eigenartigen barfüßigen Volk des Nordens erzählte, denn sie dachte, dass er sie nur zum Lachen bringen wollte. Tatsächlich aber sah und wusste sie bereits, was sie morgen tun musste. Sie sah vor sich, wie sie sich alle in der Mittagspause versammelten, ihre ganze Brigade, und dann würde sie ihre Initiative bekanntgeben: dass jede junge sowjetische Frau, die im Hinterland arbeitete, wenigstens einmal in der Woche Zigaretten für den besten Soldaten an die Front schicken sollte. Wenn alle jungen Frauen des Sowjetlandes das täten, dann würden die sowjetischen Soldaten, die solche Zuwendung und weibliche Zärtlichkeit spürten, den Feind auf einen Schlag besiegen.

    Es dunkelte schon, als Dobrynin, der Tanja zu ihrem Wohnheim begleitet hatte, sich wieder auf den Heimweg machte.
    Auf der Straße war niemand, nur der Klang seiner Stiefel, die auf das Kopfsteinpflaster schlugen, rief ein unruhiges Echo hervor.
    Plötzlich ertönte von irgendwo das Heulen eines Hundes, da blieb Dobrynin stehen und verlor für einen Augenblick den Faden seiner Gedanken, die sich nach der Begegnung mit dieser liebenswerten rothaarigen jungen Frau in ihm entsponnen hatten.
    Das Geheul verstummte, danach verstummte auch das Echo, und aufs Neue trat eine unangenehme, unheimliche Stille ein. Dobrynin, der einen Augenblick lang in die Vergangenheit eingetaucht war, wollte seinen Weg schon fortsetzen, als das Geheul sich wiederholte und den Volkskontrolleur an Ort und Stelle erstarren ließ.
    „Dmitrij, mein Hund …“, flüsterte Dobrynin, sich hinkauernd.
    Es war ihm so angenehm, das Geheul des unbekannten Hundes zu hören. Kein anderer Laut, keine anderen Worte konnten in ihm so viele Gefühle, so viele herzliche Erinnerungen hervorrufen, Erinnerungen an sein Haus im Dorf Kroschkino, an Manjascha, die Kinder … Mein Gott, wie viele Jahre waren vergangen! Wo waren sie jetzt? In jenen beiden Briefen, die Twerin ihm in Moskau gezeigt hatte, hatte es kein Wort von Liebe gegeben, oder davon, dass er ihnen fehlte. Warum? Hatten sie sich etwa an seine Abwesenheit gewöhnt, daran, dass er für immer fortgegangen war, um seine Pflicht gegenüber der Heimat zu erfüllen? Lieber Gott, dachte Dobrynin, auch der Urku-Jemze ist inzwischen schon ergraut, und er ist doch jünger als ich!
    Der Hund heulte immer weiter, und das Echo in den Straßen unterstützte ihn.
    Dobrynin blickte nach oben, zum Himmel. Dort standen der Mond und die Sterne. Dieselben Sterne, wie sie nachts von dem Himmel strahlten, der sich über Kroschkino ausbreitete. Und am Himmel dort hing ganz genau derselbe Mond.
    Kurz darauf ertönte ein Schuss, und das Geheul verstummte. Erschrocken stand Dobrynin auf und sah sich um. Irgendein anderer Laut drang aus den Tiefen des Städtchens. Dort fuhr ein Patrouillenwagen

Weitere Kostenlose Bücher