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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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gelesen hatte, schüttelte Dobrynin staunend den Kopf.
    „Ja, das ist etwas!“, stieß er aus. „In zwei Minuten alles so strikt und klar! Der Major ist ein Prachtbursche.“
    Fomitschew empfand gleichfalls Stolz auf den jungen Major und darauf, dass dieser Major in seiner Fabrik Dienst tat. Allerdings mischte sich in den Stolz noch ein weiteres, unbefriedigendes Gefühl – denn alle in der Fabrik waren unweigerlich ihm, Direktor Fomitschew, unterstellt, alle außer Major Sokolow.
    „Na gut“, sagte der Direktor seufzend. „Also, morgen früh begibst du, Genosse Dobrynin, dich in die Kaderabteilung, und du, Genosse Waplachow, versuchst für zwei zu arbeiten, ja? Ich werde mich schon erkenntlich zeigen, du kennst mich ja.“
    Waplachow nickte.
    Am Morgen fiel Nieselregen. Dobrynin arbeitete in der Kaderabteilung. Der Leiter der Abteilung, Sofrontow, ein Ehemaliger aus Budjonnyjs Reiterarmee, der im Kampf mit den Weißen die rechte Hand verloren hatte, half dem Volkskontrolleur bereitwillig. Als Erstes erstellten sie zu zweit eine Liste der Arbeiterinnen in dem Werk, es waren achtundzwanzig an der Zahl. Dann sammelten sie die Personalakten dieser Arbeiterinnen, teilten sie in zwei Gruppen ein und begannen mit der Überprüfung ihrer Beurteilungen und anderer Dokumente.
    Vor dem Mittagessen rief Fomitschew an.
    „Na, wie geht es?“, fragte er Dobrynin, der den Hörer abgenommen hatte.
    „Wir führen soeben Punkt zwei aus“, berichtete Dobrynin. „Bei allen Arbeiterinnen, außer zweien, ist jemand an der Front gefallen. Jetzt lesen wir die Beurteilungen.“
    „Nur zu, nur zu!“, sagte Fomitschew. „Ich habe dem Gewerkschaftskomitee befohlen, dass euch das Essen direkt in die Abteilung gebracht wird.“
    Eine Viertelstunde darauf brachte man tatsächlich zwei Henkelmänner in die Kaderabteilung.
    Nachdem sie einen Teil des Tisches freigeräumt hatten, setzten Dobrynin und Sofrontow sich zum Essen. Zuerst gab es Borschtsch, als Hauptgang Buchweizengrütze.
    Dobrynin beobachtete interessiert, wie geschickt der Personalleiter mit dem Essen zu Streiche kam, indem er nur die linke Hand einsetzte. Sofrontow aß schneller als der Volkskontrolleur und, wie es schien, mit größerem Appetit.
    „Weißt du“, sagte er, als er mit dem Borschtsch fertig war. „Ich bin solche Feinde nicht gewöhnt … Ich liebe den offenen Kampf. Wenn du der Feind bist, dann kommst du raus und sagst: ‚Ich bin dein Feind.‘ So geht es ehrlich zu, genau wie im Kampf. Aber diese Schädlinge und Saboteure … Ich weiß noch, wie viele man von ihnen in den Dreißigern gefangen hat! Und alle so feige …“
    „Major Sokolow ist der Ansicht, eine der Arbeiterinnen sei sozusagen einfach verrückt geworden und macht deshalb so etwas“, sagte Dobrynin.
    „Major Sokolow, Major Sokolow …“ Sofrontow seufzte und zog die Blechschale mit der Grütze zu sich her. „Wenn jemand verrückt wird, dann sticht er nicht Rotarmisten die Augen aus. Einen Verrückten erkennt man auch gleich, der zieht sich nicht an wie alle, und er redet anders. Hier gibt es einen Feind, das ist klar. Und erstaunlicherweise ist der Feind eine Frau. So eine kann auch ihrem Ehemann im Schlaf die Augen ausstechen … Nun ja, hier in der Fabrik übt sie an aufblasbaren Rotarmisten, und danach, hast du nicht gesehen …“
    „Hör mal, Sofrontow“, unterbrach Dobrynin den Leiter. „Welche von diesen Arbeiterinnen hat einen Ehemann?“
    Sofrontow hörte einen Augenblick lang zu kauen auf.
    „Keine“, antwortete er, als er nachgedacht hatte. „Alperina, und dann die, na, Suslowa und Darja … wie heißt sie gleich … Zesarskaja, die sind Witwen, und die anderen sind noch nicht verheiratet …“
    „Also geschieht es nicht, um zu Hause dem Ehemann die Augen auszustechen …“, schloss der Volkskontrolleur.
    „Das habe ich doch als Beispiel gesagt, weil es dort, wo kein Mut ist, immer Hinterlist gibt. Vielleicht liegt auch hier eine Hinterlist vor, nur wissen wir noch nichts von ihr …“
    Dobrynin dachte nach.
    „Aufgrund feindlicher Hinterlist bin ich jetzt auch ohne Hand. Im offenen Kampf hätte mir keiner was abgehackt!“, fuhr Sofrontow fort.
    „Wie haben sie es denn gemacht?“, fragte der Kontrolleur interessiert.
    „Also ich war ein bekannter Draufgänger. Da haben diese Weißen eine Art Belohnung auf meine rechte Hand ausgesetzt – ein Kilogramm in Gold und ein Pferd. Als wir nach einer wilden Attacke in einem eroberten Dorf getrunken und uns schlafen

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