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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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und einen Beschluss zu fassen.
    Am Ende des Arbeitstages war die Anzahl der Rotarmisten mit ausgestochenen Augen auf vierzig gestiegen. Und interessant war, dass der Schädling weder die aufblasbaren Arbeiter, noch die Bauern oder irgendwelche anderen Erzeugnisse anrührte. Nur Rotarmisten.
    Dobrynin, der das Militär liebte und verehrte, war außer sich.
    „Siehst du“, sagte er. „Jemand dort im Werk hasst die Sowjetische Armee! Aber wer? Dort sind doch nur Frauen!“
    Waplachow seufzte tief. Das Geschehen schien wirklich ein Rätsel zu sein, denn Frauen konnten doch die Rote Armee nicht hassen, sie hatten eigentlich mit ihr gar nichts zu tun. Im Gegenteil sogar, im Wissen, dass in dieser Armee ihre Männer und Söhne dienten oder gedient hatten, mussten sie für sie die allerwärmsten Gefühle hegen. So jedoch konnte nur ein Mensch handeln, der nichts mit der Armee gemein hatte und nichts mit ihr gemein haben wollte. Oder schlicht ein erklärter Feind. Obwohl dieser Feind natürlich bislang noch nicht erklärt war, er musste erst noch herausgefunden und allen gezeigt werden.
    Am Abend begaben die Kontrolleure sich nach der Arbeit in das Büro des Direktors. Fomitschew schloss die Tür von innen zu, und sie setzten sich an den Tisch.
    „Ich habe die erste Abteilung angerufen, gleich kommt Major Sokolow von dort“, sagte der Direktor.
    Ein paar Minuten später ging tatsächlich hinter einem Vorhang eine unsichtbare Tür auf, und aus dieser Geheimtür trat, den Vorhang beiseite schiebend, ein sympathischer junger, vielleicht fünfunddreißigjähriger, hellhaariger Mann in Zivil. Er grüßte, zog einen Stuhl an den Tisch und nahm neben Dobrynin Platz.
    Der Direktor blickte ihn fragend an.
    „Ich habe darüber nachgedacht, was Sie mir erzählt haben“, sagte Major Sokolow. „Und bin der Ansicht, dass dies keine Sabotage und im Prinzip keine echte Schädlingstätigkeit ist.“
    „Was ist denn echte Schädlingstätigkeit?“, fragte Fomitschew.
    „Echte“, antwortete der Major, „das ist, wenn ein Bergwerk in die Luft fliegt oder ein Zug entgleist.“
    Dobrynin betrachtete den jungen Major mit einem gewissen Misstrauen.
    „Was ist dann das hier?“, fragte er.
    „Das weiß ich noch nicht.“ Der Major zuckte die Achseln. „Aber ich denke, hier gibt es etwas Persönliches. Vielleicht hat jemand an der Front einen Liebsten verloren und in der Folge einen psychischen Schaden erlitten, oder, einfacher gesagt, ein Mensch, ich meine, eine Frau, ist auf eine milde Art verrückt geworden …“
    „Was sollen wir denn dann machen?“, fragte der Direktor der Fabrik.
    Der Major schwieg nachdenklich. Darauf zog er ein Blatt Papier aus der Tasche, nahm aus einem Glas, das auf dem Tisch stand, einen Bleistift und begann etwas zu notieren.
    Einige Minuten später reichte er das Blatt, das mit einer zierlichen Handschrift vollgeschrieben war, an Fomitschew.
    „Hier ist der Aktionsplan, in seinem zeitlichen Ablauf“, sagte er. „Ich nehme das unter meine Aufsicht, aber, ehrlich gesagt, ich habe Wichtigeres zu tun. Also wird vielleicht jemand von Ihnen“, er sah die Kontrolleure an, „die auf dem Papier vorgesehenen Maßnahmen durchführen?“
    Dobrynin spürte das Vertrauen der Heimat, und dieses fast vergessene Gefühl brachte ihn dazu, sich aufrecht hinzusetzen und die Schultern gerade zu halten.
    „Ich mache das!“, sagte er entschieden, wobei er fürchtete, dass Waplachow ihm womöglich zuvorkam.
    Aber Waplachow war vollkommen ruhig und, so schien es, sogar froh, dass Dobrynin diese Sache übernommen hatte.
    Der Major ließ seine Telefonnummer zurück und ging.
    Fomitschew reichte Dobrynin das Blatt mit den Maßnahmen, die der Major vorgesehen hatte. Er war gleichfalls froh über die Bereitschaft des Volkskontrolleurs, den Auftrag auszuführen.
    „Wenn es Schwierigkeiten oder Probleme gibt, sag unbedingt Bescheid!“, bat er.
    Dobrynin las auf dem Blatt:
    „1. In der Kaderabteilung eine Liste der Arbeiterinnen des Werks für Aufblasfiguren in Empfang nehmen.
    2. Vor Ort ihre Personalbögen und Beurteilungen überprüfen.
    3. Ihre Adressen notieren, die Nachbarn befragen. Prüfen, ob jemand aus der Familie an der Front ge­fallen ist.
    4. Die Freundinnen und Nachbarn über das Verhalten im Alltag befragen; auf Anzeichen von Geisteskrankheit oder psychischer Instabilität achten, besonders: Beteiligung an Skandalen, Streitereien, Racheakte im Alltag (Streuen von Salz ins Kompott u.ä.).“
    Nachdem er alles

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