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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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verfolgte die Zeiger seiner Taschenuhr, die er vor eines der Lämpchen hielt.
    „Jetzt muss es knacken“, sagte er geheimnisvoll.
    Irgendwo oben knackte es tatsächlich, und im nächsten Augenblick hörten sie ein immer lauter werdendes Summen.
    „Na?!“, stieß Karpowitsch angespannt aus. „Mach dich bereit!“
    Der kleine, anderthalb auf einen Meter große, beleuchtete Korb eines Postaufzugs kroch langsam herab. Plötzlich erhellte sein grelles Licht Karpowitsch, Banow und den ganzen finsteren Gang, durch den sie gekommen waren.
    „Los!“, kommandierte Karpowitsch unvermittelt, riss die Tür auf und sprang in diesen Korb hinein, sich wie ein alter Hase im Flug drehend.
    Banow sprang ebenfalls, doch er drehte sich nicht rechtzeitig – er hatte auch einfach nicht daran gedacht –, und stieß sich im nächsten Augenblick schmerzvoll den Kopf an der eisernen Wand des Korbes. Während er sich die Beule am Kopf rieb, spürte er, dass seine Beine sich irgendwie von selbst anhoben.
    „Zieh die Knie an!“, rief Karpowitsch, streckte sich sofort selbst nach ihm aus und zog Banows Beine mit Schwung herein.
    Banow brach kalter Schweiß aus, als er sah, dass buchstäb-lich innerhalb einer Sekunde jener Raum, in dem sich eben noch seine Füße befunden hatten, verschwunden war. An seiner Statt war eine Betonwand erschienen, und der Spalt zwischen ihr und der Kabine des Postaufzugs war so kümmerlich klein, dass sie einander manchmal berührten, und das unangenehme Knirschen ließ die beiden Männer das Gesicht verziehen.
    Als Banow sich ein wenig beruhigt hatte, fiel ihm auf, dass er und Karpowitsch auf Briefen und Paketen saßen.
    „Geht da nichts kaputt?“, fragte er seinen alten Kampfgefährten und wies dabei mit dem Blick auf ein paar kleine Pakete, die bereits recht ramponiert aussahen.
    „Nein!“
    Der Direktor rutschte ein wenig weiter, machte es sich auf der Seite gemütlich und legte sich eines der Pakete unter den Kopf. Im Innern war etwas Weiches. Er lag da mit angezogenen Beinen und blickte auf einen Berg von Briefen, Paketen und Päckchen. Auf jeder der Sendungen stand un­gefähr ein- und dieselbe Adresse, von unterschiedlicher Hand geschrieben, fast alle Handschriften aber erschienen kindlich. Dabei wusste Banow natürlich, dass, wenn ein analphabetischer Alter plötzlich schreiben lernt, auch seine Handschrift zunächst einer Kinderschrift gleicht. Auf allen Sendungen stand: „Moskau, Kreml“, im Weiteren sah es dann unterschiedlicher aus. Da gab es sowohl „Dem Führer des weltweiten Proletariats“, als auch „Für Iljitsch“ oder „An Wladimir Iljitsch“, und etwas Eigenartiges, nicht ganz auf Russisch geschrieben, später jedoch von irgendjemandes Hand durchgestrichen und von derselben Hand durch „An W.I. Lenin“ ersetzt. Es gab auch eindeutig ausländische Briefe mit schönen Briefmarken und Stempeln.
    „Gibt es denn jeden Tag so viele Briefe?“, fragte Banow.
    „Manchmal doppelt so viele“, antwortete Karpowitsch. „Es gibt auch Tage, da kommen nur Pakete.“
    Banow nickte. Das Liegen war doch unbequem, und die gekrümmte Wirbelsäule schmerzte bereits. Ihm war nach einem Tee.
    „Fahren wir noch lange?“, fragte Banow.
    Karpowitsch blickte auf seine Uhr. „Zwölf Minuten“, antwortete er.
    „So tief ist das da unten?!“, staunte der Schuldirektor.
    „Was hast du denn gedacht!“
    Staunend schüttelte Banow den Kopf. Da es nichts anderes zu tun gab, nahm er einen Brief in die Hand und betrachtete den Absender: „Wologda, 5. Sackgasse der Zweiten Internationale, Woloschtschuk Grigorij Stepanowitsch“.
    „Liest er das denn etwa alles?“, fragte Banow.
    „Natürlich! Er wartet immer ungeduldig auf die Post. Wenn es mal vorkommt, dass der Aufzug kaputtgeht und hier einen Tag lang feststeckt und die Post Verspätung bekommt, so ist er danach eine Woche lang schlecht gelaunt, brummt herum und regt sich auf.“
    Banow war zusammengezuckt. Er stellte sich vor, dass der Aufzug gleich steckenbliebe und sie hier, man wusste nicht, wie viele Tage, unter der Erde sitzen würden!
    Doch der Aufzug kroch langsam weiter abwärts.
    „Wie lange müssen wir noch fahren?“, fragte Banow ungeduldig.
    „Drei Minuten“, antwortete Karpowitsch. „Du vor allem schweig dort, egal, was passiert. Sag einfach nichts. Mein Landsmann an der Kontrolle weiß Bescheid, und die anderen werden denken, dass du mein Gehilfe bist. In Ordnung?“
    Banow nickte.
    Schließlich landete der Postaufzug in

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