Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
Vom Netzwerk:
Posten trat einen Schritt auf Karpowitsch zu, befühlte mit der Hand den Sack und ertastete die Pakete. Dann kam er zu Banow.
    „Da sind Briefe“, erklärte Karpowitsch dem Posten von hinten.
    Der Soldat nickte.
    „Komm!“, sagte Karpowitsch zu Banow, und sie gingen zu einer anderen Tür, hinter der die Sonne schien.
    Verblüfft blickte Banow hoch zum Himmel, zur Sonne. Dann wandte er sich zu dem Gebäude um, aus dem sie gerade herausgekommen waren – ein gewöhnliches zweistöckiges Häuschen, die Wände in beruhigendem Grün gestrichen.
    „Staune nicht!“, zischte Karpowitsch, der seinen alten Kampfgefährten heimlich ansah. „Man beobachtet uns!“
    Banow nahm sich zusammen, aber er spähte doch aus dem Augenwinkel ringsum und versuchte zu sehen, wer sie beobachtete. Doch er sah niemanden.
    „Los!“, flüsterte Karpowitsch, und sie betraten einen Pfad, einen gewöhnlichen, gut ausgetretenen, gewundenen Wiesenpfad, der an etwas aus der Kindheit erinnerte.
    Die Sonne sengte, auf der Wiese leuchteten Flecken von Löwenzahn im Grün. Vor ihnen tauchte ein kleines Birkenwäldchen auf.
    „Ist das nun etwa alles unter der Erde?“, flüsterte Banow dem vorausgehenden Karpowitsch zu.
    „Unter dem Kreml!“, antwortete der ebenfalls flüsternd.
    Hinter dem Birkenwäldchen erschien ein alter Eichenhain, etwas weiter weg wuchsen junge Tannen.
    Unter einer Eiche, die dem Pfad am nächsten stand, bemerkte Banow einen riesigen weißen Pilz. Gern wäre er hingegangen und hätte ihn abgeschnitten, doch er unterdrückte seine Wünsche schnell. Interessiert blickte er nach vorn.
    Der Pfad führte zu einem schmalen Flüsslein, über den eine kleine hölzerne Brücke geschlagen war. Dahinter begann ein Dickicht aus Haselnusssträuchern.
    Zwar konnte man den Sack mit den Briefen nicht schwer nennen, Banows Hände aber waren doch schon taub ge­­worden.
    „Ist es noch weit?“, fragte er flüsternd.
    Karpowitsch schüttelte stumm den Kopf – nein, weit war es nicht mehr.
    Als sie das Dickicht der Haselnusssträucher durchquerten, bemerkte Banow zwei reglos im Dickicht stehende Wachsoldaten.
    Vor ihnen tauchten kleine Hügel auf.
    „Wir sind fast da!“, flüsterte Karpowitsch.
    Sie stiegen auf die Kuppe des ersten Hügels. Die Weite, die sich in dieser Höhe öffnete, war wunderschön und ganz unwirklich in ihrer Schönheit. Banow traute seinen Augen nicht: ein blauer Horizont, junger Wald auf der einen Seite, Wiesen und Hügel auf der anderen. Und da erblickte er am Hang eines anderen Hügels eine kleine Laubhütte, und bei der Laubhütte sah er einen Mann, dessen Gesicht ihm schrecklich bekannt vorkam.
    ‚Das kann nicht sein!‘, dachte Banow. ‚Das kann einfach nicht sein!‘
    Als er von Karpowitsch gehört hatte, der Kremlträumer lebe, war es irgendwie leicht gewesen, den Worten seines alten Kampfgefährten zu glauben. Und auch das „er lebt“ hatte einfach und verständlich geklungen, doch jetzt und hier, als er mit eigenen Augen den Kremlträumer sah, auf einer Bank neben der Laubhütte in der Sonne sitzend, im braunen Anzug, genauer, in der Hose und der Weste seines braunen Anzugs, unter der Weste das hellblaue Hemd mit dem offenen Kragen – erschien ihm das alles irgendwie unwahrscheinlich, ganz abgesehen von diesem quälenden Abstieg im Postaufzug. Banow wusste nicht, wie man das alles erklären sollte.
    „Komm, wir gehen hin und geben die Post ab!“, flüsterte Karpowitsch.
    Als Banow so hinter Karpowitsch her zu dem Kremlträumer ging, fürchtete er sich. ‚Wie kann denn das sein, dass er lebt?!‘, zerbrach der Schuldirektor sich den Kopf.
    Vor der Laubhütte blieben sie stehen. Banow spähte über Karpowitschs Schulter und begegnete dem Blick des Kremlträumers. Sofort wollte er sich wieder hinter Karpowitschs stämmiger Gestalt verstecken, doch der Blick, der gütige Blick des Kremlträumers aus leicht zusammengenkniffenen Augen zog Banow in seinen Bann, und er erstarrte, Auge in Auge mit dem Mann, den die ganze Welt kannte.
    „Aha, die Post?!“, sagte der Kremlträumer froh. „Na, dann schauen wir mal!“
    Karpowitsch stellte den Sack mit den Paketen vor ihm ab. Banow ging hin und stellte behutsam seinen Sack gleich daneben.
    „Und Zeitungen? Gibt es heute Zeitungen?“, erkundigte sich der Kremlträumer.
    „Man hat uns keine mitgegeben“, sagte Karpowitsch mit Bedauern.
    „Na gut“, der Kremlträumer nickte. „Geht ihr jetzt wieder rauf?“
    „Ja“, antwortete Karpowitsch.
    „Hier,

Weitere Kostenlose Bücher