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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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wird ihm noch schlecht, er erfriert, und die Verantwortung trage dann ich …!‘
    Der Leiter der Expedition stand auf und trat an das einzige Fenster, das direkt auf den Platz vor dem Wagen hinausging. Aber das vom Frost getrübte Glas verstellte Kalatschews Blick den Weg. Nun schnalzte er bedauernd mit der Zunge und blickte unlustig zur Tür – er verspürte keinerlei Wunsch, aus dieser warmen Gemütlichkeit nun in die Kälte hinauszugehen.
    „Womit beheizt ihr denn den Ofen?“, fragte Waplachow.
    „Mit Chemie“, antwortete Dujew geduldig, der schon spürte, dass er langsam Kopfschmerzen bekam.
    „Womit?“ Der Urku-Jemze hatte das nicht verstanden.
    „Das ist schwierig zu erklären“, sagte der Lahme bedächtig. „Kurz gesagt, er heizt ohne Holz: Man nimmt zwei chemische Stoffe, mischt sie, und daraus entsteht eine Wärme von großer Kraft. Klar?“
    Dmitrij schüttelte den Kopf.
    „Weißt du was, Genosse Dmitrij“, Dujew lächelte sogar. „Ich erzähle es deinem Chef, und der erklärt es dir nachher. Verstehst du, mir tut ein wenig der Kopf weh …“
    „Gut“, stimmte Waplachow zu.
    Draußen erhob sich unterdessen ein langgzogener Laut, der durch die Wände und bis zu den Bewohnern des Wagens drang. Kalatschew blickte besorgt zur Tür. Die übrigen erstarrten gleichfalls und horchten. Es war ein vertrauter, doch lange schon vergessener Laut. Irgendwie gehörte er nicht hier her. Aber natürlich war es ein russischer Laut, und jeder, außer dem Urku-Jemzen, verspürte ein Ziehen in der Brust, jeder bekam einen Kloß im Hals. Kalatschew hielt es nicht aus, warf seinen langen Rentierpelz über, öffnete die Tür einen Spalt breit und spähte hinaus.
    Er sah, wahrhaftig zum ersten Mal in seinem Leben, heulende Schlittenhunde, und vor ihnen den Volkskontrolleur, der im Schnee saß und mit seiner ganzen Gestalt zugleich großes Heimweh nach der Vergangenheit und irgendein rätselhaftes Glück ausdrückte.
    ‚Schlittenhunde, die heulen?‘, fragte sich der Leiter der Expedition in Gedanken.
    Er trat auf die hölzerne Treppe hinaus und schloss die Tür hinter sich, damit die Wärme nicht aus dem Wagen wich. Er stieg zu dem Schlitten hinunter und kauerte sich neben Dobrynin auf die Fersen.
    „Zum ersten Mal höre ich im Norden das Geheul von Schlittenhunden!“, gestand er dem Volkskontrolleur. „Heulende Menschen habe ich schon öfter gehört.“
    Eine seltsame Erkenntnis durchzuckte Kalatschew. Die Erkenntnis, dass das Geheul der Hunde wohl mit der Anwesenheit des Volkskontrolleurs zusammenhing. Aber wie? Überhaupt, was für dumme Gedanken waren das? Kalatschew schüttelte den Kopf und sah wieder den Volkskontrolleur an.
    „Ich hatte einen Mitka“, begann Dobrynin, ohne den Blick von den heulenden Hunden zu nehmen. „Mein Hund. Vor kurzem ist er gestorben. Ich habe gerade im Kreml mit dem Genossen Twerin Tee getrunken, und da teilt er mir mit: ‚Bei den Deinen zu Hause geht alles gut, nur der Hund ist gestorben …‘ Er sagt, dass er angeordnet hat, meiner Frau einen neuen zu bringen … Aber was heißt das für mich?“
    Kalatschew, der den angenehm schwermütigen Grundton des Augenblicks auf sich wirken ließ, zuckte mit den Schultern.
    „Das heißt für mich, wenn ich nach Hause komme, lässt dieser Hund mich nicht auf den Hof!“, sagte Dobrynin leise.
    Unterdessen heulten die Hunde, einer stimmte beim anderen mit ein. Aber dennoch war dieses Heulen ein wenig schwach. Irgendwie unterschied es sich von dem Heulen russischer Hunde.
    Darüber dachte Kalatschew nach, während er in den Himmel blickte. Im nächsten Augenblick begriff er alles: Der Himmel war hier tief, weiß, einfarbig, und an ihm gab es nichts, weder Mond, noch Sterne. Über den Grund dafür dachte er nicht nach, aber natürlich war das wegen der Kälte so. Und wenn es keinen Mond gab, dann hatten ja auch die Hunde nichts, das sie richtig anheulen konnten. Obwohl, jetzt heulten sie ja trotzdem!
    Dobrynin hatte sich ein wenig beruhigt und wieder innerlich gefestigt. Er blickte den neben ihm kauernden Kalatschew an.
    Wieder wollte er ihm gern die Frage stellen, deren Antwort ein Staatsgeheimnis darstellte. Aber Dobrynin hielt sich zurück. Und er war sich auch gar nicht sicher, ob seine Zunge alle Worte noch richtig aussprechen konnte.
    Kalatschew hingegen wurde von einer inneren Kälte überfallen und fühlte sich hundeelend, woran der Frost überhaupt keine Schuld trug. Der Leiter der Expedition wusste, dass er eine große

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