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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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in deinen Augen, so viel Wärme!‘
    Die Musik der Ziehharmonika, mit dem Lied verflochten, verwandelte sich in einen Wind, den nur die menschliche Seele spüren konnte. Die gerade Rauchsäule, die aus dem Schornstein der Räucherei aufstieg, bog dieser Wind nicht um, er trieb nicht den Schnee von den Wipfeln der Kiefern im Wald, der hinter dem Fluss stand.
    Der bucklige Buchhalter strömte vor Liebe über und betrachtete mit dem liebevollsten Blick seinen Sohn Wasiljok, der in den Armen seiner Frau schlummerte.
    Und Demid Polubotkin stimmte bereits ein neues Lied an:

    „Herrlicher Baikal, du heiliges Meer
    Auf einer Lachstonne will ich dich zwingen …“

    Noch lauter klang seine Stimme, die sich hoch hinauf über den Hügel erhob.
    Auf dieses Lied hin trat Sachar aus seiner Räucherei und stand da mit offenem Mund, hinter ihm schaute auch Pjotr aus der weit geöffneten Tür.
    Archipka-Stepan sah dort hinunter, zu Sachar und Pjotr hin.
    Er dachte daran, dass er, ein entflohener Kolchosbauer und Enkel eines Leibeigenen, die Menschen ins Glück geführt hatte, hierher, auf diesen Hügel. Und jetzt lebten die Leute hier und freuten sich dieses Lebens und wunderten sich nicht darüber.
    Hier bemerkte er, dass zwischen den nahen Kiefern einige bärtige Männer in verschnürten Bauernpelzen heraustraten, nicht gemeinsam, sondern jeder einzeln. Unter der Schnur, wie in einem Gürtel, hatten sie Äxte und Messer stecken. Diese Männer kamen heraus, blieben stehen und lauschten gleichfalls dem Lied.
    ‚Holzfäller oder Räuber‘, dachte Archipka-Stepan, aber er dachte es ohne Argwohn, eher mit Liebe. ‚Wer sie auch sind, es sind doch russische Menschen, und eine russische Seele haben sie auch, sonst wären sie bei dem Lied nicht aus dem Wald gekommen.‘
    Als Demid das zweite Lied zu Ende gesungen hatte, beschloss er, sich ein wenig zu erholen. Er setzte sich auf den Hackklotz.
    Die Männer, die aus dem Wald gekommen waren, warteten ein wenig auf ein nächstes Lied, und als keines kam, verschwanden sie wieder im Wald. Nicht gemeinsam, sondern jeder einzeln, als würden sie einander gar nicht kennen.

Kapitel 16
    Nach einer Woche Regen schneite es abermals.
    Banow saß an seinem Tisch, trank Tee mit Honig und betrachtete die neuen Instruktionen, die mit einem Kurier vom Narkompros gekommen waren.
    Es klopfte an der Tür.
    Der Lehrer Moschaikin kam herein.
    „Genosse Direktor“, sagte er. „Hier … das hat meine Mutter gesammelt, es hilft sehr bei Erkältung.“
    Banow nickte.
    Der Lehrer legte ein Tütchen mit Kräutern auf den Tisch des Direktors und ging hinaus.
    Im selben Augenblick klingelte das Telefon, und der Direktor nahm den Hörer ab.
    „Hallo … hatschii … hallo!“, rief er. „Was? Was für Angaben?“
    Man rief aus dem Narkompros an und bat darum, die Angaben der Schüler zu schicken, die sich entschieden hatten, in die Kulibinski- oder Suworow-Militär-Lehr­anstalten einzutreten.
    „Gut“, sagte Banow in den Hörer, nachdem er verstanden hatte, worum es ging. „Ich bereite alles vor!“
    Er rief seinen Vizedirektor und erkundigte sich danach, wo diese Angaben waren, und es stellte sich heraus, dass sie bereits seit zwei Tagen auf seinem Direktorentisch unter einem Stapel anderer Papiere, Rechnungen und Lehrer­berichte lagen.
    Banow entließ Kuschnerenko und sah sich die Listen der Schüler an.
    „Nur hundertzweiundfünfzig“, flüsterte er vor sich hin. „Nicht sehr üppig.“
    Da fiel sein Blick auf einen vertrauten Namen.
    „Robert Rojd, Klasse 7B. Suworow-Lehranstalt“, las er und versank in Nachdenken.
    Ein Hustenanfall krümmte Banow von Neuem, schmerzhaft zerriss es ihm den Hals, und der Direktor goss sich noch eine Tasse Tee ein, verrührte zwei Löffelchen Honig darin und schluckte.
    Einen Augenblick lang wurde ihm leichter.
    Der vergangene Donnerstag fiel Banow ein, als er und Klara auf dem Hügel unter dem Kreml zu lange geträumt hatten und Unannehmlichkeiten gerade noch entgangen waren. Zwei Stunden hatten sie im strömenden Regen nach dem richtigen Pfad gesucht. Karpowitsch war irgendwo verschwunden, doch wie durch ein Wunder war es ihnen gelungen, das bekannte grüne, zweistöckige Haus zu erreichen, die richtige Tür zu finden, und nach den endlosen Treppen und dunklen Korridoren waren sie schließlich oben angekommen. Vollständig durchnässt, hatten sie den Kreml beinah im Laufschritt verlassen und waren zwanzig Minuten später zu Klara hinaufgestiegen.
    Sie hatten Atem

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