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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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auch ein Kuvert beschriften.“
    „Und wann wirst du singen?“
    „Ich brauche die richtige Stimmung …“, sagte Demid schon sanfter, da sah er in den Augen des Buchhalters so viel Misstrauen ihm gegenüber, dass es ihm direkt den Hals zuschnürte. „Aber bald habe ich sie … in den nächsten Tagen …“
    „Sieh zu, dass du es nicht zu lang hinziehst!“, sagte der Buchhalter zum Abschied und ging.
    Nach dem Mittagessen erklärte Polubotkin dem Brigadier, dass er nun schon bereit sei, im Neuen Gelobten Land die Kultur mit einem Lied zu festigen, er brauche nur einen Platz, an dem es viel Raum und Weite gebe und ein gutes Echo entstehe.
    Der Brigadier ging durch den knirschenden Schnee auf dem Hügel herum und bestimmte diesen Platz – am Hackklotz, der neben der Winterküche stand, um Brennholz zu spalten und Schlachtfleisch zu zerteilen. Dort gab es auch Weite, denn der Blick öffnete sich auf die verschneiten Felder und die andere Seite des Hügels, wo am Fluss die Räucherei stand und weiter entfernt der Wald anfing.
    Der Brigadier zeigte Polubotkin den Platz, und sie stimmten überein, dass es ein guter Platz war und Polubotkin am nächsten Tag nach dem Mittagessen singen werde. Darüber gingen sie auseinander.
    Zur selben Zeit saßen der Buchhalter und Sachar in der Räucherei am Tisch und ersannen einen Brief an den Kremlträumer, während Katja, die auch dort war, ihn sorgfältig auf Papier schrieb.
    In diesem Brief erzählten sie vom Neuen Gelobten Land, davon, wie sie lebten und was sie aßen. Sie schrieben, dass sie mit ihrem Leben zufrieden seien und fragten um Rat, was und wie man etwas in ihrem Leben verbessern könnte. Am Ende fügten sie auch noch hinzu, dass sie jetzt in ihrem Neuen Gelobten Land auch Kultur hatten und sich morgen Lieder anhören würden.
    Dann klebten sie aus Papier ein Kuvert zusammen, steckten den Brief hinein und brachten ihn zu Polubotkin, damit der die Adresse darauf schrieb.
    Demid schrieb bereitwillig mit seinem eigenen Bleistift auf das Kuvert: „Moskau, Kreml. An den Kremlträumer.“
    Der folgende Tag war sonnig und windstill. Der Schnee glitzerte und knirschte unter den Füßen der Siedler. Aus dem Schornstein der Räucherei stieg eine gerade Rauchsäule in den Himmel.
    Nach dem Mittagessen kamen die satten und glücklichen Menschen bei der Winterküche zusammen, vor der die Lieder erklingen sollten, die Polubotkin versprochen hatte.
    Bald erschien auch Polubotkin. Er legte den Kasten mit der Ziehharmonika auf den Schnee, stieg auf den Hackklotz, ließ den Blick über die Umgebung wandern, und sogleich erschien auf seinem Gesicht etwas Adlerhaftes. Als er sich sattgesehen hatte, stieg er herunter, zog die Ziehharmonika heraus, bewegte die Finger über ihre Knöpfe und entlockte dem Instrument Musik. Dann lehnte er sich an den Klotz und dachte nach.
    Immer noch strömte Volk herbei, aber der Brigadier, der daneben stand, trat von einem Fuß auf den anderen und zeig­-te seine Ungeduld.
    „Na, fang schon an!“, sagte er, nachdem er zu Demid ge­treten war.
    Polubotkin erklomm mit der Ziehharmonika in den Händen den Hackklotz.
    „Russische Lieder!“, verkündete er.
    Der Engel, der als einer der Ersten gekommen war, suchte Katja mit dem Blick, traf aber ständig auf den gleichgültig-leblosen von Archipka-Stepan.
    „Also, ich fange an!“, kündigte Polubotkin an, holte tief Luft und zog die Ziehharmonika auseinander.
    Die Musik rollte in einer großen Welle den Hügel hinunter.
    „Unendlich erstreckt sich das Schwarzmeer …“, erscholl Demids Stimme über dem Neuen Gelobten Land, und alle hätten sich beinahe hingesetzt vor Erstaunen über diese nie zuvor gespürte Macht.

    Der Wind bläst mit Macht geradeaus
    Genosse, wir fahren von fernher
    Und weit fort liegt unser Zuhaus …

    Die verzauberten Siedler standen da und rührten sich nicht. Das Lied flog über die Felder, wirbelte wie ein unsicht­barer Schneesturm umher, und den Leuten war es, als würde etwas in ihnen erwachen, etwas Furchtloses und Unbesiegbares. Jemand dachte: „Und wenn das die Seele ist?“ und sah heimlich zu dem Engel. Der gleichfalls verzauberte Engel aber stand da und sah zu Katja. Und Katja sah zu ihm. So wohl war ihnen da, eingehüllt in dieses mächtige Lied, so froh, als würde dieses Lied für sie beide erklingen.
    ‚Ich werde ihn umschmieden‘, dachte Katja fest überzeugt. ‚Dann gehört er mir für immer!‘
    ‚Du Liebe‘, dachte der Engel. ‚So viel Güte leuchtet

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