Der und kein anderer Roman
aus. Er hatte nur einen Gedanken, und zwar Gracie wieder zurückzuerobern.
Plötzlich überkam ihn Panik. Was, wenn sie nun die Stadt bereits verlassen hatte? Ihr moralisches Gerüst war ausgesprochen stabil gebaut. Erst jetzt, wo es zu spät war, begriff er, wie wichtig ihr ihre Grundsätze waren. Gracie meinte immer das, was sie sagte. Wenn sie sich einmal entschieden hatte, eine gewisse Angelegenheit richtig zu betrachten, änderte sie ihre Meinung nicht mehr.
Sie hatte gesagt, dass sie ihn liebte. Für sie bedeutete das sehr viel. Doch er hatte mit ihrer Zuneigung gespielt und ihre Gefühle nicht respektiert. Er hatte sie in eine Position manövriert, von der aus sie nicht mehr einlenken konnte. Als er gestern Abend in ihr Gesicht geblickt und ihre Worte gehört hatte, dass sie ihn nicht heiraten könne, hatte sie jedes Wort ernst gemeint. Nicht einmal eine öffentliche Liebeserklärung seinerseits war gut genug gewesen, sie zu halten.
Eine Flut ungewohnter Gefühle überschwemmte ihn, doch das Ungewohnteste von allen war die Verzweiflung.
Nachdem er ein Leben lang Frauen mit Leichtigkeit erobert hatte, wurde ihm jetzt klar, dass er seine Selbstsicherheit eingebüßt hatte. Denn sonst wäre er nicht felsenfest davon überzeugt gewesen, dass, falls sie erst einmal aus der Stadt weg war, er sie nie wieder zurückerobern könnte. Ihm war klar, dass er sie für alle Zeit verloren hatte. Wenn es ihm noch nicht einmal gelungen war, ein Hausspiel zu gewinnen, wie konnte er dann hoffen, ihre Liebe irgendwo anders auf der Welt zurückzuerobern?
»Da schau an, scheint so, als ob unser Lieblingssohn sich gestern Nacht jede Menge Ärger eingehandelt hat.«
Bobby Tom hob den Kopf und starrte mit ausdruckslosen Augen Jimbo Thackery an, der mit einem gemeinen Grinsen auf dem Gesicht vor der Zelle stand.
»Ich habe keine Lust, jetzt Beleidigungen mit dir auszutauschen, Jimbo«, murmelte er. »Was muss ich tun, um hier herauszukommen?«
»Mein Name ist Jim.«
»Also gut, Jim«, erwiderte er dumpf. Vielleicht war es ja doch noch nicht zu spät. Wenn sie die Möglichkeit gehabt hatte, ein wenig über die Dinge nachzudenken, konnte er vielleicht doch noch ihre Meinung ändern. Er schwor zu Gott, dass, wenn sie ihn heiratete, er ihr als Erstes ein eigenes Seniorenheim als Hochzeitsgeschenk übergeben würde. Doch davor musste er sie erst mal finden. Dann musste er sie überzeugen, dass er sie mehr liebte, als er sich bisher jemals mit irgendeiner Frau hatte vorstellen können. Er würde alles tun, damit sie ihm verzieh. Er drückte den Rücken durch. »Ich muss hier raus.«
»Richter Gates hat die Kaution noch nicht festgesetzt«, erwiderte Jimbo, den Bobby Toms Elend offenbar hell erfreute.
Bobby Tom stand mit schmerzverzerrtem Gesicht auf und versuchte, den sauren Geschmack seines Magens und
die Tatsache, dass sein verletztes Knie wie verrückt pochte, zu ignorieren.
»Wann wird er das tun?«
»Früher oder später.« Jimbo zog einen Zahnstocher aus seiner Brusttasche und klemmte ihn sich in den Mundwinkel. »Der Richter mag es nicht, wenn ich ihn zu früh am Morgen anrufe.«
Bobby Tom blickte auf die Wanduhr auf der anderen Seite der Gitterstäbe. »Es ist kurz vor neun.«
»Ich werde ihn anrufen, wenn ich Zeit dazu finde. Nur gut, dass du Geld hast, denn dir werden ernsthafte Vergehen vorgeworfen: Schlägerei, Ruhestörung, kriminelle Sachbeschädigung, Widerstand gegen die Staatsgewalt. Das Herz des Richters wird dabei nicht gerade vor Mitleid zerfließen.« Bobby Tom wurde von Sekunde zu Sekunde verzweifelter. Jede Minute, die er noch länger hinter Gittern verbrachte, bedeutete, dass Gracie ihm noch weiter entglitt. Warum nur hatte er sich gestern Abend wie ein Scheusal benommen? Warum hatte er nicht seinen Stolz runtergeschluckt und war ihr sofort hinterhergestürzt, hatte sich, falls nötig, auf die Knie geworfen und ihr gesagt, wie Leid ihm alles tat. Stattdessen hatte er viel Zeit damit verschwendet, den starken Mann zu mimen und Mist zu erzählen, um vor seinen Freunden das Gesicht zu wahren. Das wiederum war ohnehin hoffnungslos gewesen, nachdem er sich am Mikrofon derart beschämend benommen hatte. Er konnte sich noch nicht einmal länger daran erinnern, weswegen ihm die Meinung seiner Freunde derart wichtig war. Er mochte sie gerne, doch wollte er weder sein Leben mit ihnen teilen noch Kinder mit ihnen aufziehen. Er konnte seine Erregung nicht verbergen, als er auf die Gitterstäbe zutrat. »Ich tue, was
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