Der unersättliche Spinnenmann
hingebungsvollen, aufopferungsvollen Mutter kettete sie auf ewig an den unglücklichsten, unseligsten ihrer Söhne. Sie fühlte, dass die Krankheit des armen Eduardo unheilbar war. Bis vor kurzem noch war er ein sportlicher, fröhlicher, gesunder junger Mann gewesen, nun sah man ihn grausam an jenes Bett gefesselt …‹
Jetzt bemerkte ich, dass die Frau, die fünfzig Jahre alt, vielleicht älter sein mochte, an der Schiebetür zwischen dem Vorraum und dem Wohnzimmer stand und auf mich wartete. Dabei schwieg sie, lächelte leicht dümmlich, kratzte sich den Bauch auf der Höhe des Bauchnabels – vielleicht hatte sie die Krätze wie ihre Hunde – und sah mich an. Dabei war ich noch ganz benommen vom widerlichen Gestank der Hunde, dem Gebell, das gerade erst aufgehört hatte, und dem idiotischen Melodrama von Eduardo und seiner Mutter.
Ich kam wieder zu mir und schaute zu ihr hinüber. Wollte schon aufstehen und etwas sagen. Da sprangen mich die Hunde wieder an und begannen wie wild zu bellen. Sie bedeutete mir, mich wieder zu setzen. Ich tat es. Sofort waren sie still.
»Sie sind Foxterrier und darauf abgerichtet, Füchse zu jagen.«
»Füchse?«
»Ja, sie sind reinrassig, mit Stammbaum und allem.«
»Aha … Und sie jagen Füchse? Hier in Kuba?«
»Nein, nein. Sie sind einfach nur nervös. Vor kurzem ist bei mir eingebrochen worden. Die Einbrecher haben sie mit Fußtritten traktiert und grün und blau getreten.«
»Ach so … Kann ich jetzt die Bücher sehen?«
»Ja. Ich hol sie Ihnen. Rühren Sie sich nicht vom Fleck.«
Die Dicke verschwand. Ich blieb allein mit den Hunden und der Radio-Soap von Eduardo und seiner Mutter. Ich befand mich gerade in einer Phase totaler Intoleranz. Und das war entsetzlich. Ich musste den unwiderstehlichen Drang beherrschen, die Hunde mit Fußtritten ins Jenseits zu befördern. Und das Radio auf den Boden zu donnern. Diese Phasen sind sehr hässlich. Manchmal schaffe ich es, sie ganz gut in den Griff zu bekommen und eine große Gelassenheit zu erreichen. Dann denken die Leute, ich sei von Geburt an ein großherziger, großzügiger Typ.
Ich blieb die ganze Zeit über wie angewurzelt sitzen. Die dicke Alte brauchte lange. Nun ja, sie war vielleicht noch nicht wirklich alt, aber mir kam sie schon so vor. Ich wartete weiter wie ein tibetischer Mönch bei der Meditation. Und atmete dabei sehr vorsichtig, um nicht die ganze Scheiße zu schlucken, die die Luft erfüllte. Schließlich kehrte sie zurück, mit drei Büchern in den Händen. Ich besah mir nur die Titelseiten. Es waren juristische Bücher, erschienen in Madrid in den Jahren 1912 und 1911.
»Nein, Gnädigste. So was nicht.«
»Ich kann sie Ihnen sehr günstig überlassen. Sie sind in Leder gebunden und sehr teuer. Sie gehörten meinem Onkel, der es bis zum Sekretär des Finanzministers brachte. Zur Zeit von Prio Socarräs.«
»Ich suche etwas Literarisches. Etwas, das mehr …«
»Ah, ja, ja. So etwas ist auch da. Warten Sie einen Moment.«
Schwerfällig ging sie weg. Sie war wirklich sehr dick, riesig. Sie wog vielleicht hundertfünfzig Kilo und war bestimmt doch über sechzig. Noch einmal verschwand sie im hinteren Teil des Hauses. Von meinem Sessel aus war nichts zu sehen. Nur ein kleines Stückchen Flur, ganz dunkel, aber ich sah, dass an der Wand ein paar riesige amerikanische Filmplakate aus den vierziger Jahren hingen. Sie waren gerade so zu erahnen. Der Vorraum, in dem ich wartete, war der hellste Platz des Hauses. Er hatte drei große Fenster mit dickem Milchglas, die das Licht vom Garten hereinließen. Ich saß unbewegt und hörte die verdammte Radio-Soap, die im Verlauf immer tragischer wurde. Jetzt wurde Eduardo von seiner Verlobten verlassen, und der Typ vergoss ein paar stille Tränen. Ich hasse die Idioten, die solche Scheiße schreiben, und die Idioten, die ihr zuhören.
Die Dicke blieb lange weg. Vielleicht zehn Minuten. Dann kam sie mit einem Buch in jeder Hand zurück: einer englischen Ausgabe von Ivánhoe und The Talisman. Herausgegeben in New York, ohne Erscheinungsjahr. Und die Ollendorf-Methode zum Französischlernen, erschienen bei Appleton and Company, Chicago 1911. Staubig und zerfressen von einer silbrigen Art von Bücherwürmern, die wie winzige Sardinen auf mich herabfielen. Schnell stand ich auf, um sie abzuschütteln, und die Hunde bellten wieder wie verrückt. Ich setzte mich wieder. Die Hunde schwiegen. Ich gab der Dicken die Bücher zurück:
»Nein, nein. Kann ich nicht
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