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Der unersättliche Spinnenmann

Der unersättliche Spinnenmann

Titel: Der unersättliche Spinnenmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pedro Juan Gutierrez
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hineingehen und mir die Bücher ansehen?«
    »Ich hol sie Ihnen. Keine Sorge.«
    »Für wie viel verkaufen Sie sie denn?«
    »Kommt drauf an. Da sind sehr gute Sachen dabei, die habe ich für fünf Pesos pro Stück verkauft, aber normalerweise verkaufe ich sie für einen Peso.«
    Das war geschenkt. Ich überlegte nicht zweimal:
    »Hören Sie, Gnädigste, machen Sie sich keine Mühe. Ich kaufe Ihnen alles ab, was Sie haben. Für einen Peso pro Stück.«
    »Äh … nein doch, nein … So geht das doch nicht.«
    »Warum nicht? Lassen Sie mich hinein. Dann zählen wir sie. In einer Stunde komme ich mit einem Lastwagen. Ich nehme sie mit und zahle cash.«
    »So mag ich sie nicht verkaufen. Ich möchte sie eins nach dem anderen verkaufen. Nach und nach.«
    Ich sah sie direkt an. Sie hatte einen allzu sanften und gelassenen Gesichtsausdruck. Das konnte nicht echt sein. Sie fragte mich:
    »Befassen Sie sich berufsmäßig mit diesem Geschäft?«
    »Ich befasse mich mit jedem Geschäft, Gnädigste. Das Kaufen und Verkaufen ist mein Geschäft.«
    »Ja?! Oh, wie schön. Kommen Sie mit. Kommen Sie, kommen Sie!«
    Sie war hellauf begeistert. Ich stand aus dem Sessel auf, und die beiden Hunde fingen an zu bellen wie zwei Verrückte. Sie schnappten nach meinen Knöcheln, bissen mich jedoch nicht. Wir verließen den Vorraum, gingen durchs Wohnzimmer und über den Flur. Ich besah mir die Kinoplakate. Es waren drei. Zwei von Kriegsfilmen und eins von einem Western. Schmutzig und schmierig. Mir schien, als sei auf einem John Wayne als Cowboy zu sehen, wie er mit zwei Colts schoss. Vielleicht war es Gary Cooper. Wir kamen in ein großes Esszimmer. Auf der einen Seite war die Küche, deren Tür zum Garten hin offen stand. Auf der anderen Seite lagen mehrere Zimmer mit geschlossenen Türen. Alles war vom Gestank der Hunde durchdrungen.
    Ich sah das Küchengeschirr, die rissigen Hofmauern, die schmutzigen Wände und Türen. Da war seit mindestens fünfzig Jahren kein neues Glas und kein neuer Teller mehr hinzugekommen. Alles war wie in der Zeit stehen geblieben, heruntergekommen und schmierig. Die Dicke sprach noch leiser. »Mit Samtstimme«, hätte der blöde Radiosprecher gesagt. Sie zeigte mir einen Frauenkopf, der in ein verblichenes Tuch gewickelt war. Ein herrliches Stück aus grauer Keramik. Sie sagte, es stamme aus Frankreich. Durch die offene Küchentür drang plötzlich die Stimme der Nachbarin. Sie sang einen Bolero. Total schief: » … und mein Herz hat’s mir gesagt, ich kann die Liebe nicht bezwingen, deshalb wart ich auf dich bis zum Schluuhuss … wart auf dich, auf dich, lass mich nicht leiden, ich wart auf dich, und wenn du mich dann nicht mehr willst, dann geh ich, geh ich fort, mein Leben, so weit fohort …« Die Frau sang mit schriller Stimme, und ich hatte den Eindruck, sie erfand den Text und reihte einfach einen Satz an den anderen. Die Hunde bellten immer noch, aber die Dicke beachtete sie gar nicht. Sie bewegte sich mit unglaublicher Gemächlichkeit. Sanft fragte sie mich, ob mir das Stück gefiel. Mir schien, als schluckte sie den ganzen Tag Beruhigungsmittel. Ich sagte:
    »Ja, es ist sehr hübsch.«
    »Man hat mir hundert Dollar dafür geboten. Aber ich habe gehört, dass es in Europa bis zu zweitausend Dollar bringen könnte. Warum sind die Menschen nur so geizig?«
    »Aber dann müssten Sie es nach Europa bringen. Und hier lässt es der Zoll nicht raus.«
    Sie redete weiter. Erzählte mir, dass sie Geld brauchte, um Essen zu kaufen. Ich dachte, wenn sie noch mehr äße, würde sie noch dicker und würde platzen. Sie zeigte mir ein Ölbild. Ein Stillleben mit Früchten und Meeresfrüchten. Und einen Satz mundgeblasener Gläser aus Skandinavien. Ich hörte weiter die Nachbarin, die immer noch sang. Die Hunde bellten etwas leiser. Vielleicht waren sie müde geworden. Die Nachbarin kreischte und sang falsch. Und die Dicke sprach sehr leise. Ihre Stimme klang schleppend, war aber gebildet und ruhig. Und ihr Lächeln gelassen. Anscheinend konnte nichts sie aus der Ruhe bringen. Sie sagte:
    »Ich habe nach und nach alles verkauft.«
    »Sie leben allein?«
    »Ja. Meine Eltern sind gestorben, ich habe noch einen Bruder in den Vereinigten Staaten.«
    »Und Sie haben sich daran gewöhnt, allein zu leben.«
    »Daran gewöhnt habe ich mich nicht, nein. Ich lebe seit fast dreißig Jahren allein, aber daran gewöhnt habe ich mich immer noch nicht.«
    »Das ist eine lange Zeit, liebe Frau. In dreißig Jahren kann man eine

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