Der unersättliche Spinnenmann
Tag des heiligen Johannes, San Juan, ist der 24. Juni, aber die Fischwanderung fängt immer acht oder neun Tage früher, mit dem Vollmond, an und dauert, bis der abnehmende Mond im letzten Viertel steht. Nach dem Wolkenbruch war das Wasser kalt und aufgewühlt. Ich zog mir die Schwimmflossen an, legte mich mit dem Gesicht nach oben in den Reifen, die Füße im Wasser, und paddelte los, Richtung Sandbank.
Der rote Schnapper sammelt sich dort, an der Linie zwischen dem Flachwasser und der Meerestiefe. Es war ziemlich lange her, dass ich das letzte Mal gefischt hatte. Fünf oder sechs Jahre. Eine Zeit lang lebte ich davon, in einem Reifen wie diesem hier zu fischen. Die ganze Nacht mit dem Arsch im Wasser. Die Eier werden eiskalt und krampten sich zusammen. Das ist einer der Jobs, die ich zu vergessen versuche. Es ist leichter, Bilder zu malen und zu verkaufen und meine Autobiografie zu schreiben. Wenigstens bekomme ich da keinen nassen Arsch und keine Arthritis.
Ich entfernte mich ein ordentliches Stück vom Strand. Mit den Schwimmflossen geht es nur langsam voran. Es wurde Nacht und sehr dunkel. Der Mond war noch nicht aufgegangen. Ich unterhielt mich damit, zum Ufer hinüberzusehen. Havanna sieht wunderschön aus mit seinen Lichtern und dem schwarzen Meer davor. Ich habe es Hunderte Male so gesehen, fünfhundert Meter von der Küste entfernt im Meer treibend. Und immer gefällt es mir. Da fielen mir die Haie ein. Man weiß, dass man allein ist und immer Haie in der Nähe sein können. Plötzlich werden meine Gedanken unterbrochen: Ein riesiges Schiff ragt direkt vor mir auf. Ich habe es nicht bemerkt. Wie konnte das passieren? Fast ohne Lichter kommt es in der Dunkelheit genau auf mich zu. Mit voller Kraft wird es über mich hinwegfahren. Es ist riesig. Ich bin eine Ameise, die vor einem Elefanten treibt. Ohne es zu merken, bin ich in die Fahrrinne zum Hafen geraten. Das Schiff fährt aufs Meer hinaus, die Maschinen sind am Heck, unterhalb der Brücke und den Mannschaftskabinen. Am Bug hört man sie nicht. Das Schiff kommt lautlos und unerbittlich näher. Ich höre nur das leichte Geräusch des Bugs, der das Wasser teilt und kleine Wirbel wirft. Wie wild fange ich an, mit den Flossen und meinen Händen zu paddeln. Ein ungeheurer Adrenalinstoß ist in meine Muskeln gefahren. Ich schaffe es, mich drei, vier Meter zur Seite zu bewegen, und eine Sekunde später teilt der Bug schon die Stelle, wo ich eben noch trieb. Mit aller Kraft paddle ich weiter mit Händen und Füßen. Der Sog der Schiffsschraube wird mich verschlucken, wenn ich so nah am Schiffsrumpf bleibe. Ich entferne mich weiter. Mehr, noch ein bisschen. Jetzt bin ich zwanzig Meter weit weg. Alles ist in wenigen Sekunden passiert. Jetzt schiebt sich das Schiff zwischen die Küste und mich. Es ist ein Tanker, der da so dunkel den Hafen verlässt. Nur die Kommandobrücke und die Kabinen am Heck des Schiffes sind hell erleuchtet. Er ist riesig, vielleicht zweihundert Meter lang, und fährt leer. Die normale Wasserlinie liegt jetzt acht Meter über dem Wasserspiegel. Auch die Schiffsschrauben schauen ein wenig aus dem Wasser, wühlen es auf und bilden eine schäumende Kiellinie. Ich sah nach oben. Auf dem dritten Deck lehnten zwei Seeleute an der Reling und tranken Bier aus der Flasche. Sie entdeckten mich und winkten mir fröhlich zu. Es kam mir so vor, als küssten sie sich auf den Mund, dann sahen sie wieder lachend zu mir herüber. Ich bin mir nicht sicher und sehe weiter genau hin. Ja. Sie haben es noch einmal getan. Wieder küssen sie sich. Sie umarmen und streicheln sich, während sie zu mir herübersehen. Sie winken mir zu und reiben sich die Hosen. Sind gut drauf und haben ihren Spaß. Das Schiff fuhr schnell davon. Wieder war ich allein und trieb auf dem ruhigen, schwarzen Meer. In der Ferne bei der Sandbank sah man die Lichter all der Leute, die Schnapper fischten. Ohne Eile paddelte ich mit meinen Flossen weiter. Dabei machte ich eine Schnur mit zwei großen Haken und silberfarbenen Löffeln fertig. Die besten Köder sind frische Sardinen, aber nachts wirken die silbernen Löffel wie Sardinen. Ich warf die Schnur aus, während ich der Sandbank immer näher kam. Als ich den Rand der Untiefe erreichte, ging im Osten der Mond auf. Riesig und orangefarben. Die Nacht wurde hell. Luft und Wasser nahmen einen neuen, blauen Farbton an. An der Sandbank ankerten drei Jet-Set-Yachten. Richtig schicke Yachten. Zwanzig, dreißig Motorboote. Zwanzig, dreißig
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