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Der unersättliche Spinnenmann

Der unersättliche Spinnenmann

Titel: Der unersättliche Spinnenmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pedro Juan Gutierrez
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redete weiter über ihren Bruder. Sie sagte, er könne nicht allein leben und bald würde er schmutzig und verwahrlost auf der Straße herumlaufen wie ein Bettler. Der Boden war schön kühl und ich sehr müde. Ich schlief ein.
    Ich schlief tief und fest und wachte verschlafen auf. Wollte nur so liegen bleiben und nicht aufstehen müssen. Da dachte ich, dass dies ein guter Trick wäre, um Julia loszuwerden: Ich schlucke eine Flasche Rum pro Abend, fange Krach mit ihr an, verpasse ihr ‘ne Tracht Prügel, und das war’s. Da haut sie ganz von selbst ab. Und ich spar mir den Streit und muss ihr nicht ins Gesicht sagen, dass ich sie nicht mehr ertrage. Und ganz nebenbei verschaff ich mir das gute Gefühl, ihr ein paar runtergehauen zu haben. Sie geht mir unheimlich auf die Eier. Ach ja, da wir gerade von Eiern sprechen, morgen muss ich das Ergebnis meines Spermogramms abholen.
    Ich gab mir Mühe und streckte mich, so sehr ich konnte. Ich glaube, ich werde alt und steif an Julias Seite. Ich stand auf und schaltete das Radio ein. Ein Sender aus Miami erklang, mit Latino-Musik. Zwischen einem Lied und dem nächsten sagte der Sprecher: »Kommen Sie zum Koper Southwest Supermarket, kommen Sie vor fünf Uhr nachmittags, und wir halten ein Looper Ticket für Sie bereit. Wir erwarten Sie schon am Eingang. Ganz leicht können Sie eintausendsiebenhundert Dollar in bar gewinnen. Es geht wirklich ganz leicht. Mit den Looper Tickets gewinnen Sie fast immer. Kommen Sie sofort. Verlieren Sie keine Zeit!« Dann kam wieder Latino-Musik. Wenn man es so betrachtete, war alles leicht und angenehm. Zu leicht, um wahr zu sein, dachte ich. Ich fühlte mich ein wenig ratlos und verwirrt. Ich schaltete das Radio aus, ging auf die Dachterrasse hinaus und sah aufs blaue Meer, das im Sonnenlicht so blendete, dass ich fast blind wurde. Wo war Julia geblieben? Und ich dachte wieder: »Ratlosigkeit und Verwirrung greifen um sich.« Doch sofort reagierte ich: »Ah, jetzt werd nur nicht wehleidig. Das ist doch bloß eine schlechte Phase, wo dir alles sinnlos scheint. Du bist einfach schlecht drauf.« Ich wiederholte mir das ein paar Mal, dann hatte ich es verstanden. Und wurde nicht mal wütend. Hatte nur noch dieses Gefühl von Leere und Verwirrung. Und wusste nicht, was ich tun sollte.

 
     
     
     
Der chinesische Dolch
     
     
    Meine Nachbarin lebt seit Jahren zurückgezogen in ihrer kleinen Wohnung. Sie ist ein bisschen komisch geworden. Ihre einzige Verbindung mit der Außenwelt sind der Fernseher, das Telefon und ein paar Minuten täglicher Unterhaltung mit mir. Wir haben einen gemeinsamen Hof, das heißt, wir teilen uns die Dachterrasse des Gebäudes.
    Außer der Abgeschiedenheit und Isolation scheint ihr Leben insgesamt ziemlich schäbig zu sein. Alles in diesen Zeiten ist schäbig, doch bei ihr ist es noch schlimmer. Zu große Armut, zu große Einsamkeit, nie ruft ihre Tochter sie an. Sie kämpft gegen die Depression und den Drang, alles hinzuschmeißen. Ich glaube, mein Leben ist auch ein bisschen schäbig und sinnlos. Vielleicht ist es nur Langeweile, monotone Tage und eine ordentliche Dosis Melancholie, die man mir eintrichterte, als ich noch eine Keimzelle war. Manchmal denke ich, dass Ort und Zeit für alle schäbig sind. Das ist ein jahrelanger Prozess gewesen: von Chaos und Konfusion zu Schäbigkeit und Absurdität. Entsetzlich.
    Ich habe jedoch, zumindest der Statistik nach, ein bisschen mehr Zukunft. Sie ist siebzig. Oder etwas darüber. Ich bin fünfzig. Ich kann also theoretisch die Hoffnung haben, dass sich noch was zum Guten verändert. Sie erwartet nur die Stille und die Nacht.
    Heute ruft sie mich wie immer. Sie reicht mir eine Tasse Kaffee. Ich habe das Gefühl, dass sie bedrückter ist als sonst. Oder unruhiger.
    »Hoffentlich musst du nie allein leben. Du kannst dir nicht vorstellen, wie schrecklich es ist, allein zu sein. Du hast großes Glück, denn Julia ist eine gute Frau, und sie liebt dich sehr.«
    Ich antworte nicht. Jeder kennt sein eigenes Leben am besten. Ich wäre lieber allein als in schlechter Gesellschaft, aber ich schluck’s runter und denke blitzartig an eine Pistole und eine Kugel in die Schläfe von Julia.
    Bei diesen Gedanken driftete ich davon. Meine Nachbarin redete weiter. Vor sieben Jahren ist sie Witwe geworden. Seitdem konzentriert sie all ihre Energie auf mich, denn ihre Tochter hat ein für alle Mal Schluss mit ihr gemacht. Eines Tages – das letzte Mal, dass sie zu Besuch war – rief sie

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