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Der unersättliche Spinnenmann

Der unersättliche Spinnenmann

Titel: Der unersättliche Spinnenmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pedro Juan Gutierrez
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zweitausend Dollar kriegen. Anscheinend ist Daymí ihm treu. Wenn sie einen Liebhaber hat, dann sehr diskret. Ich rufe sie und gehe zu ihr hinüber:
    »Daymí!«
    Sie bleibt stehen und sieht mich an, sehr ernst. Sie mag es nicht, dass ich sie auf der Straße anspreche. Ihr Mann kriegt alles mit, auch wenn er im Knast sitzt. Ich habe gehört, dass der Typ total verbittert ist und sogar seinem eigenen Schatten misstraut.
    »Wie geht’s, Daymí?«
    »Gut. Hör zu, ich bin in Eile, hab gar keine Zeit. Ich bin schon spät dran.«
    »Wohin geht’s denn so schnell?«
    »Guille hat heute Besuchstag.«
    »Und Besuchsnacht auch, du siehst ja umwerfend aus. Du bleibst doch die ganze Nacht, oder?«
    »Ja, bis sechs Uhr morgens.«
    »Dein Mann hat vielleicht ein Glück! Eine ganze Nacht mit dir.«
    »Er ist mein Mann, und wir haben einen Sohn zusammen.«
    »Wann lässt du dich mal von mir einladen, Daymí? Nur auf ein Bier. Wenn du annimmst, schreib ich auch das Gedicht für dich.«
    »Welches Gedicht?«
    »Das Gedicht über deine Füße.«
    »Ach, fängst du schon wieder davon an? Es macht dir wohl Spaß, mich zu verspotten und über mich zu lachen, deshalb hör ich dir gar nicht zu.«
    »Um nichts in der Welt würde ich über dich lachen. Dir passiert mit deinen Füßen dasselbe wie mir mit meiner Glatze. Vielen Frauen gefällt meine Glatze, und ich kann’s nicht glauben.«
    »Ja, das stimmt.«
    »Dir gefällt meine Glatze?«
    »Äh, oh … Du verwirrst mich. Du wickelst mich ein, und ich weiß gar nicht mehr, was ich rede.«
    »Ich wickel dich nicht ein. Ich bete dich an. Wenn du mich deine Füße küssen und dir einen Strauß Blumen und das Gedicht schenken lässt, ich schwör dir: Dann fühlst du dich wie eine Königin. Die Königin vom Calvario-Viertel. Und eine Königin geht nicht ins Gefängnis. Ich will dein König sein …«
    »Halt, halt. Du bist verrückt und bringst mich ganz durcheinander. Kein Mann redet so wie du.«
    »Weil ich mit dem Herzen rede. Die anderen reden mit dem Hirn.«
    »Du kannst nicht ganz richtig im Kopf sein. Ich muss gehen, ich muss gehen, adiós.«
    Und schnell ging sie weiter. Aber ich hatte sie erwischt.
    »Bis bald, Daymí. Geh nur, das macht nichts. Ich bin sehr geduldig.«
    Eilig und verwirrt lief sie davon, sah zu Boden und hob den Blick nicht wieder. Sie ist mir immer ein bisschen begriffsstutzig vorgekommen. Oder schlicht. Ich mag das.
    Ich geh in den Garten zurück und setz mich wieder unter den Flamboyant. Ich kann mich nicht entschließen, ob ich gleich etwas Rum und ein paar Zigarren kaufen soll oder erst später. Meine Mutter kommt aus dem Haus. Sie hat ihre dramatische Szene schon vergessen. In der Hand hält sie einen kleinen chinesischen Dolch. Es ist die perfekte Kopie eines Samurai-Schwerts. Sie hat ihn Anfang der sechziger Jahre sehr billig gekauft. Die Schneide muss ungefähr zwölf Zentimeter lang sein und der Griff vielleicht vier. Aus rostfreiem Stahl und mit gnadenlos tödlichem Schliff. Die Scheide und der Knauf sind aus geschnitztem Elfenbein. Es ist ein kleines Juwel, aber damals verkauften sie das, als sei es Trödelkram. Damals taten die Chinesen große Dinge für die Zukunft. Zum Beispiel stellten sie unter Hochdruck die Atombombe fertig. Da war ihnen solch eine Kleinigkeit wie dieser Dolch nicht besonders wichtig.
    Solange ich denken kann, hat er im Zimmer meiner Eltern im Schrank zwischen den Bettlaken und Handtüchern gelegen. Er gefällt mir. Oft habe ich sie darum gebeten, aber sie hat sich immer geweigert. Jetzt kommt sie lächelnd mit dem Dolch in der Hand. Aber sie hält ihn fest und setzt sich neben mich.
    »Den will ich dir schenken. Du hast ihn immer haben wollen und … Ich werd ja doch irgendwann bald sterben.«
    Sie gibt ihn mir. Ich betrachte ihn genau. Er ist sehr gefährlich, hat eine furchtbare Spitze und Schneide.
    »Hat der Dolch meinem Vater gehört?«
    »Es war meiner.«
    »Damit kann man leicht jemand umbringen. Und ganz ohne Blut. Diese Art von Schneide schließt die Wunde, wenn man den Dolch herauszieht.«
    »Deswegen habe ich ihn gekauft. Damit ich mich nicht mit Blut beschmiere und Zeit habe zu fliehen.«
    »Ach, red kein Scheiß, Alte! Wovon sprichst du überhaupt?«
    »Von einer Nutte. Dieses Messer habe ich gekauft, um eine Nutte zu töten. Jetzt kann ich es dir ja erzählen.«
    »Sag bloß nicht, du hast sie abgestochen und irgendwo verbuddelt.«
    »Ich wollte sie umbringen und in den Fluss werfen. Aber sie hat sich so erschrocken,

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